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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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eine Weile mit Jenni allein sein, ist das in Ordnung?
    Sie weiß, daß das mehr als nur in Ordnung ist, deswegen spare ich mir eine Antwort.
    -    Bis gleich, sagt Val und betritt das Badezimmer. Die Tür schließt sich hinter ihr, und ich bleibe allein mit einer Kanne Tee und zwei vollen Tassen.
VAL
1
    Es schmerzt, es schmerzt so sehr.
    Ich stehe im Bad und sehe Jenni an und möchte mich zusammenkrümmen, wie sie es getan hat. Als würde sie sich verstecken. Als wüßte sie nicht wohin.
    Es schmerzt so sehr.
    Ich setze mich auf den Wannenrand und kann die Augen nicht von ihr nehmen.
    Meine Jenni.
    Ich versuche zu rekonstruieren, wann genau ich den falschen Schritt gemacht habe. Wäre noch eine Flasche Rotwein dagewesen, hätte das Jenni gerettet? Oder wäre dasselbe geschehen, wenn ich die Wohnung nicht verlassen hätte? Und was genau ist geschehen? Waren es die Schnellen? Was, wenn sie es nicht waren?
    Ich verspüre den Drang, eine Zigarette zu rauchen. Meine Hände sind unruhig, das Atmen fallt mir schwer, aber ich kann jetzt nicht zu Marek gehen und mir eine Zigarette holen. Ich bin jetzt hier bei Jenni. Ich gehe nirgendwohin.
    Ich bleibe bei dir.
    Wenn es eine Chance gegeben hat, Jennis Tod zu verhindern, dann hatte ich diese Chance nicht. Ich hätte sie genutzt, ich weiß es. Ich weiß auch, es kann nicht meine Schuld gewesen sein, ich war sauber — keine Drogen, keine Psychose, nicht einmal annähernd, ich war---
    Wir waren zu nahe dran.
    Ist es das?
    Ich beuge mich vor und ziehe den Stöpsel. Das graue Wasser verschwindet zögernd aus der Wanne. Winzige Haare von der Beinrasur kleben am Rand. Mit einer Bürste schrubbe ich die Wanne sauber und lasse heißes Wasser einlaufen. Danach ziehe ich mich aus, lege meine Sachen auf die Kommode neben derTür und zünde die Kerzen an. Ich lösche das Deckenlicht und stelle mich nackt vor den Spiegel. Die Härchen auf meinen Armen sind aufgerichtet, die Schrift verläuft über meine Brust.

    Wo bist Du gewesen?

    Als ob sie es nicht wüßten. Als hätten sie auf mich gewartet, und ich kam zu spät. Ich reibe über meine Arme, bis mir wärmer ist, dann spucke ich auf den Spiegel und beginne, die Schrift mit einem Schwamm wegzuwischen. Zweimal muß ich den Schwamm im Waschbecken ausspülen, bevor der Spiegel sauber ist. Ich trockne ihn mit einem Handtuch ab und prüfe die Wassertemperatur. Als die Wanne halb voll ist, gehe ich zu Jenni.
    Ich bin’s.
    Ihr Körper ist fest und steif. Was ich auch probiere, sie bleibt zu einem Ball zusammengekrümmt. Auch nachdem ich sie durchs Bad geschleift und in die Wanne gehievt habe. Wasser schwappt über den Rand, ich fluche, Marek klopft an die Tür und fragt, ob alles okay ist.
    — Alles ist okay, sage ich und steige zu Jenni in die Wanne.
    Ich weiß nicht, ob das geht oder nicht, es ist aber den Versuch wert. Vorsichtig versuche ich, Jenni in dem heißen Wasser aus ihrer gekrümmten Haltung zu befreien. Ich habe keine Ahnung von Totenstarre, ich weiß nur, daß ich Jenni nicht so in Erinnerung behalten möchte. Ein menschlicher Knoten, bedeckt mit Blut.
    Es dauert.
    Ich arbeite daran, die Arme um ihren Kopf zu lösen, dann strecke ich ihre Knie und langsam, ganz langsam öffnet sie sich, wie die Rose von Jericho, die jahrelang braun, vertrocknet und zusammengeballt in der Wüste hegen kann, und wenn dann Regen fallt, entfaltet sie sich in Zeitlupe und wird grün.
    Bei Jenni ist es keine Zeitlupe, es ist mühevolle Arbeit. Ich spüre jeden Muskel in den Armen, der Rücken ist eine einzige Verspannung und mein Atmen hallt unangenehm laut von den Badezimmerwänden.
    Erst als Jennis Kopf auf dem Wannenrand ruht — Augen geschlossen, als würde sie schlafen — lehne ich mich erschöpft zurück und mache eine Pause. Das Wasser um uns herum hat sich rosa verfärbt. Jennis helle Haut scheint zu leuchten.
    Ich ziehe den Stöpsel und lasse neues Wasser einlaufen, dusche Jenni ab und wasche sie mit einem Schwamm. Ich seife sie ein, wie ich ein Kind einseifen würde. Danach spüle ich ihr den Schaum aus den Haaren und bin erst zufrieden, als der letzte Rest Blut von ihrem Körper verschwunden ist. Die Wunden sind deutlich sichtbar. Stiche im Hals, Stiche in der Brust. Schnitte an den Händen, die sie zur Abwehr erhoben haben muß. Rechts fehlen Zeigefinger und Daumen. Sie müssen noch irgendwo im Bad liegen.
    Ich beuge mich vor und streiche Jenni eine Haarsträhne hinter das Ohr. Ich bin froh, daß sie keine Wunden im Gesicht hat. Ich

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