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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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die Tagesdecke eingemummt auf dem Sessel und schaut aus dem Fenster. Sie ist zusammengesunken wie eine Marionette, der man die Schnüre gekappt hat. Auf dem Boden liegen ein Aschenbecher, ein Plastikfeuerzeug und eine zerknüllte Zigarettenschachtel. Die Uhr am Fernseher zeigt 16:38, ich habe den Tag verschlafen. Das Innere meines Mundes fühlt sich verbrannt an. Als ich ins Bad gehe und das Licht anschalte, sehe ich für eine Sekunde Jennis Körper eingequetscht zwischen Dusche und Toilette. Ich halte mir die Hand vor den Mund und unterdrücke einen Schrei.
    Da ist nichts, sage ich mir und atme tief durch.
    Ich spüle eines der Gläser aus, trinke gierig das lauwarme Wasser und gehe zurück ins Zimmer.
    -    Hier.
    Val sieht auf. Dann kommt ihre Hand unter der Decke hervor.
    -    Danke.
    Ich beobachte ihren Hals, während sie trinkt.
    -Wie spät ist es?
    -    Kurz vor fünf.
    Val reibt sich erst das eine, dann das andere Auge.
    -    Glaubst du mir? fragt sie und läßt es normal klingen. Das Zittern ihrer Hand verrät sie. Ich nehme ihr das Glas ab und stelle es auf den Boden.
    -    Du glaubst mir nicht, habe ich recht?
    Ich widerspreche ihr. Es ist nicht so, daß ich ihr nicht glaube, es ist mehr so---
    Ich ziehe die Unterlippe zwischen die Zähne. Ich weiß nicht, was ich sagen will. Ich rede Blödsinn und habe das Gefühl, nicht richtig in diese Geschichte zu gehören. Das ist natürlich eine Lüge. Ich gehöre seit heute früh dazu. Vorher war ich vielleicht ein Zuschauer, der eben mal vorbeilief und dachte, Val gut zu kennen. Jetzt weiß ich, was Val in den letzten Jahren erlebt haben muß. Jetzt glaube ich, sie zu verstehen. Es gibt keinen Notausgang mehr, durch den ich verschwinden kann, sollte mir der Film nicht gefallen. Vorher. Nachher. Man kann es Pflichtbewußtsein nennen oder melodramatisch Liebe.
    -    Glaubst du mir? fragt Val erneut.
    -    Natürlich glaube ich dir.
    Sie drückt sich an mich, zittert und ist so zerbrechlich, daß ich sie nur sanft halte. Ihre Fingernägel drücken sich in meine Schultern, ich höre sie flüstern:
    -    Ich ... ich weiß nicht, was ich tun soll, Marek, ich weiß es nicht...
    Nach Minuten trennt sie sich von mir. Ich wische ihr die Tränen aus dem Gesicht, sie zieht die Nase hoch und schüttelt den Kopf.
    -    Ich muß was machen, ich kann nicht einfach nichts machen, das geht nicht, Marek, das geht einfach nicht. Sie haben meine Jenni...
    Sie wird still, atmet schwer und drückt sich die Hand auf den Bauch. Im nächsten Moment ist sie auf den Beinen. Ich höre sie über dem Klo würgen und gehe zu ihr, halte ihren Kopf, streichle ihren Nacken und versuche, mein eigenes Würgen zu unterdrücken.
    Nachdem ich Val auf die Beine geholfen habe, spüle ich und bringe sie zum Bett.
    -    Hast du überhaupt geschlafen?
    Val schüttelt den Kopf.
    -    Möchtest du jetzt schlafen?
    Sie nickt. Ich breite die Decke über ihr aus, ziehe die Vorhänge zu und halte ihre Hand, bis sie eingeschlafen ist.
    Gegen zehn essen wir in einem arabischen Imbiß auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Falafel, Tabuleh und gegrilltes Halumi. Wir trinken dazu Tee und reden wenig. Beide kennen wir uns in Berlin nicht aus, die Stadt erscheint uns fremd und aggressiv. Ein Freund von mir kann stundenlang von Berlin schwärmen. Er hat mich immer davor gewarnt, Berlin im Winter zu besuchen.
    -    Im Winter wird Berlin zu einer Leiche, sagte er, Glaub mir das.
    Ich glaube es ihm. Die Menschen bewegen sich geduckt und ängstlich durch die Straßen, als könnte die Stadt nach ihnen greifen und sie in die Kanalisation verschleppen. Aber vielleicht liegt es auch daran, daß Val sich duckt und Angst hat. Wahrscheinlich projiziere ich ihr Verhalten auf die ganze Stadt. Ich weiß es nicht. Ich weiß im Moment so wenig, daß ich alles in Frage stelle.
    Val nimmt nach dem Essen ihr Medikament und ist innerhalb von einer halben Stunde eingeschlafen. Ich mache es mir neben ihr auf dem Bett bequem und schalte durch die Kanäle. Für eine Weile sehe ich einen Film, wechsle in der Werbung zu den Nachrichten, kehre irgendwann wieder zum Film zurück und habe einen ganzen Handlungsstrang verpaßt, schalte um zu einer Serie und höre in der Werbepause dem Stöhnen von Frauen zu, die unbedingt mit mir telefonieren wollen.
    Ich sehe und sehe das nicht wirklich. Eine eigeneTonspur läuft in meinem Kopf. Ich stelle mir immer wieder dieselben Fragen, weil ich nicht weiß, was ich als

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