Du bist zu schnell
he, ich habe einfach nur reagiert und wollte mit irgend jemandem sprechen, der Val kannte.
Val atmet geräuschvoll aus und sagt:
- Meine Mutter hat mich noch nie gekannt. Wir haben nichts miteinander zu tun, und das soll auch so bleiben.
- Das wußte ich doch nicht, verteidigt sich Marek.
—Warum hast du ihn angelogen? frage ich.
Vals Blick ist wütend. Sie beugt sich vor, Ellenbogen auf den Knien.
- Was meine Familie und mich angeht, ist meine Sache, okay? Und was Jenni und dich angeht, das ist deine Sache.
-Was soll das heißen?
-Wieso dachtest du, daß Jenni nicht mehr zurückkommt?
- Quatsch, sage ich und gieße mir ein neues Glas ein.
- Nein, kein Quatsch, wieso dachtest du das?
Sie kommt mir zu nahe, obwohl sie sich keinen Zentimeter bewegt hat. Ich will ihrem Gedankengang nicht folgen.
- Das geht dich nichts an, sage ich.
- Genausowenig, wie dich meine Probleme mit meiner Familie angehen, erwidert sie und streckt ihr Kinn vor.
Ich bin überrascht. Diese Frau streitet gern. Da ist eine Wut in ihren Augen, die ich nicht verstehe. Ich habe große Lust, ihr mein Glas ins Gesicht zu schütten. Was denkt sie sich, wer sie ist, ich könnte---
- He, beruhigt euch.
Marek legt Val den Arm um die Schultern. Mir ist sofort zum Heulen. Dasselbe hätte ich in dieser Situation auch bei Jenni getan. Ich merke, wie zerbrechlich ich bin. Wenn mich jetzt jemand antippt, bekomme ich Risse. Ich trinke mein
Glas leer und stelle es ab. Als ich spreche, sehe ich nur Marek an:
— Jenni hatte Angst, daß uns alles über den Kopf wächst. Da war der Bauernhof und die Renovierungen, wir hatten einen Kredit aufgenommen, und plötzlich wurde es ernst.
—Wovor hatte sie Angst? fragt Marek.
Ich kann mir denken, was durch seinen Kopf geht. Vielleicht gab es ja jemanden, der hinter Jenni her war.
— Sie hatte Angst, daß irgendwas schiefläuft, sage ich, Sie
las esoterische Bücher über Schwangerschaften und hatte sich in den Kopf gesetzt, daß etwas mit ihrem Körper falschlief. Sie hatte panische Angst vor einer Fehlgeburt und vor der Möglichkeit, daß das Kind behindert---
— Sie war schwanger?! unterbricht mich Val und drückt sich den Handrücken gegen den Mund.
Marek sieht sie erstaunt an.
— Hat sie dir nichts davon erzählt?
— Sie wollte mit mir feiern, antwortet Val, Sie hat aber nicht gesagt, was es zu feiern gab, denn sie wollte ... ich sollte erst den Wein holen, erst danach wollte sie ...
Ich stehe auf. Ich will mir das nicht anhören oder irgend etwas näher erklären. Ich will einfach nur, daß etwas passiert. Etwas Lautes, etwas Zerstörendes. Ich mit lauter Rissen.
Mit unsicheren Schritten verschwinde ich im Schlafzimmer.
Tür zu, kein Licht, Ruhe. Ich stelle mich ans Fenster und sehe hinaus. Ich bin hilflos und kann keinen klaren Gedanken fassen.
Wieso schmeiße ich die beiden nicht raus und kümmere mich um Jenni? Weil ich nicht glauben will, daß sich Jenni umgebracht hat. Denn was ist, wenn es nicht stimmt und sie wirklich getötet wurde, was dann?
Als ich merke, daß mir schwindelig wird, setze ich mich zwischen Bett und Fenster auf den Boden und starre die gegenüberliegende Wand an. Die Dämmerung verwandelt mein Leben mit Jenni in einen Schwarzweißfilm. Schatten bewegen sich darin und machen auf sich aufmerksam. Ich will nicht hinsehen. Jeden Moment wird die Tür aufgehen, und Jenni wird fragen, was ich da mache, warum ich auf dem Boden sitze, wir hätten doch Gäste. Komm schon rüber, und sei kein Spielverderber. Das hat sie gerne gesagt. »Sei kein Spielverderber«, als wäre das alles nur ein großes Spiel, und wir brauchten bloß auf die Regeln zu achten, dann ginge alles gut.
Bei meiner Rückkehr ins Wohnzimmer sind die Risse nicht mehr sichtbar. Es geht mir nicht besser, und es geht mir nicht schlechter, aber ich habe mich entschieden.
— Was auch immer passiert ist, sage ich und setze mich wieder an den Tisch, Ich will herausfinden, wie Jenni gestorben ist. Der Rest ist mir egal. Also, was habt ihr? Gebt mir einen Beweis, daß es die Schnellen gibt.
— Wir haben nichts, sagt Val und erzählt mir, wie nach ihrer Rückkehr aus Berlin alles verschwunden war - Ausdrucke, Notizen und sogar der abgestürzte Computer. Sie glaubt, sie war mit Jenni den Schnellen auf der Spur. Sie beschreibt mir das Portal und die fremde Schrift. Sie sagt, sie hatte keine Chance, den Download zu
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