Du bist zu schnell
und fahre mir durchs Haar.
— Das war’s? frage ich, Mehr habt ihr nicht?
Val sieht aus dem Fenster, Marek reibt sich die Augen und sagt:
— Mehr haben wir nicht.
— Denkt nach, da muß was sein. Ich brauche einen Beweis. Irgendwas.
Val spricht, ohne sich vom Fenster abzuwenden:
— Wir haben keine Beweise, Theo. Unser einziger Beweis liegt unten im Wagen und ist tot.
Der Treffer sitzt. Ich sinke in den Stuhl zurück, als würde jemand mit beiden Händen auf meine Brust drücken Jenni ist wirklich weg. Nur ein paar Worte von Val haben gereicht, der Druck preßt mir die Luft aus den Lungen.
-Was mache ich nur? sage ich mehr zu mir selbst als zu den anderen. Ich denke dabei nicht an unser Kind, das nie sein wird, ich denke dabei nicht an Jenni, die einmal war. Ich habe nur mein Leben vor Augen. Wie mache ich weiter?
Val hat sich umgewandt und sieht mich an. Sie versteht meine Frage falsch und sagt:
— Ich denke, du solltest es ihren Eltern als Erstes sagen.
Sie hat recht. Jennis Eltern werden nach ihr fragen. Jenni
kann sich nicht einfach in Nichts auflösen, niemand verschwindet spurlos, und es bleibt unbemerkt.
— Sie werden sich wundern, wo Jenni ist. Nicht nur ihre Eltern, auch ihre Freunde. Ich muß ihnen sagen, daß sie nicht nach Hause gekommen ist. Das ist der erste Schritt. Ich muß ...
Ich verstumme, sehe in den Raum und frage mich, ob das eben wirklich meine Worte waren. Sie kommen mir so nüchtern und klar vor.
Marek räuspert sich und sagt:
— Ich habe Hunger.
Überrascht sehe ich ihn an. Es ist so absurd, daß er jetzt Hunger haben kann. Es ist echt, es ist natürlich, es ist genau das, was ich im Moment nicht bin.
— Gut, sage ich, Prima, laßt uns essen gehen, danach reden wir weiter.
Ich stehe auf und schiebe hinterher:
— Und wir nehmen deinen Wagen, okay?
Marek sieht mich an, als würde ich das nicht ernst meinen.
— Sehr witzig, sagt er.
— Das war kein Witz, sage ich und schalte das Licht über dem Schreibtisch aus.
Bevor wir in das Auto steigen, frage ich Marek, ob ich fahren darf.
- Sicher, kein Problem.
Val setzt sich zu Jenni nach hinten. Wir hören auf der Fahrt zum Restaurant Musik.
-Wer ist das? frage ich.
- Matt Ward, sagt Marek.
Eine brüchige Gitarre zu einer brüchigen Stimme in einer brüchigen Geschichte. Ich stelle lauter und erwarte jeden Moment, daß Jennis Arme sich von hinten um meine Brust schließen und den Druck lösen. Mich wieder frei atmen lassen. Mich festhalten. Als ich in den Rückspiegel sehe, schaue ich Val direkt in die Augen. Ich weiß nicht, wie lange sie mich schon beobachtet. Ich sehe wieder nach vorne. Beim nächsten Mal hat sie den Kopf abgewandt, und ich nehme den Rest des Weges den Blick nicht von der Straße.
Vor dem Restaurant halte ich in zweiter Reihe, obwohl weiter vorne ein Parkplatz frei wird. Val und Marek steigen aus. Val zündet sich eine Zigarette an, Marek stellt den Kragen seines Mantels hoch. Ich kurble das Fahrerfenster herunter.
— Hier ist ein Zweitschlüssel, sage ich und reiche ihn Marek, Der Kleine ist für unten, der Rote für oben. Ihr könnt euch das Sofa ausziehen, Bettwäsche findet ihr im Flurschrank, Handtücher auch.
Marek will etwas sagen, Val zieht an seinem Arm.
— Es ist in Ordnung, erklärt sie ihm.
Ich lasse die beiden am Straßenrand stehen.
Wir stritten uns über esoterische Bücher, Ernährung und Erdstrahlungen. Wir brachten es fertig, Rudolf Steiner zum Thema zu machen und diskutierten hitzig, in welchen Kin-dergarten unser ungeborenes Kind gehen sollte. Ich bin mir sicher, wir wußten beide, wie albern wir uns verhielten. Und ich bin mir auch sicher, daß es sehr viel mit Jennis Angst zu tun hatte.
— Ich tue das nicht für mich, sagte sie mit der Hand auf ihrem Bauch.
Es waren die ersten Monate, in denen wir zusammenlebten, und wir hatten uns das alles anders vorgestellt. Jenni begann sich für Yoga zu interessieren und besuchte Seminare. Gesundheit stand bei ihr an erster Stelle. Während ich die Sorge hatte, ein Kind in dieser winzigen Wohnung großziehen zu müssen, weil der Bauernhof nicht fertig wurde. Jedes Wochenende fuhr ich raus und arbeitete mir die Finger blutig, während Jenni zu Hause saß und dachte, ich vernachlässige sie. Das Ergebnis war, daß der eine auf dem anderen herumhackte.
— Du nimmst das alles zu ernst, sagte ich, Du machst dir Angst, und
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