Du bist zu schnell
Bettina und zeigt mit dem Daumen hinter sich, Alle eben.
-Aber sie kennen mich doch gar nicht.
— Schon, ich habe doch von dir erzählt, sie kennen dich gut.
-Was hast du erzählt?
Bettina strahlt übers ganze Gesicht:
— Daß du meine Val bist. Die alles sieht. Die alles sieht, was die anderen nicht sehen. Meine Val eben.
Bettina hört auf zu strahlen.
—Aber jetzt nicht mehr, sagt sie plötzlich traurig und streichelt über Vals Wange, Du bist ja gesund, nicht wahr? Du siehst nichts mehr. Arme Val.
Es ist eine komische Szene. Ich kann sehen, daß Val irgendwie reagieren möchte. Ihre linke Hand zuckt, der Mund ist schmal. Sie reagiert aber nicht, sondern sieht Bettina nur an. Es dauert lange, viel zu lange.
-Was ist mit den Schnellen? mischt sichTheo ein und tritt einen Schritt vor. Ich halte ihn am Ellenbogen zurück. Das würde noch fehlen, daß er einer wie Bettina Angst macht.
-Was soll mit ihnen sein? fragt Bettina zurück, ohne den Blick von Val zu nehmen.
—Wir haben ein Problem mit ihnen, spricht Val weiter, bevor Theo mehr sagen kann, Sie denken, wir suchen sie. Wir suchen sie nicht, Bettina, wir wollen nur in Ruhe gelassen werden.
Bettina wippt mit dem Kopf auf und ab, als wären Vals Worte kleine Bälle, die durch die Luft springen.
-Jemand ist gestorben, sagt Val.
— Oh, sagt Bettina und steht still, Das solltet ihr ihm erzählen.
Sie sieht mich an, ich schaue über meine Schulter, da ist niemand, dann verstehe ich es und tippe mir an die Brust:
-Mir?
- Hast du ihm schon gesagt, daß jemand gestorben ist? fragt sie Val.
-Warum sollte ich es ihm sagen? will Val wissen, Er weiß alles, das ist Marek.
Plötzlich schlägt sich Bettina die Hand vor den Mund.
- Oh, habe ich jetzt was verraten?!
Sie sieht mich wieder an. Ich kann zwischen ihren Fingern die Zähne erkennen.
— Ich wollte das nicht verraten, sagt sie und lächelt entschuldigend und beginnt dann zu weinen. Val legt ihr einen Arm um die Schulter und geht mit ihr ein paar Schritte zur Seite. Theo und ich wechseln einen Blick.
- Du gehörst also dazu, sagt Theo.
- So eine Scheiße auch, sage ich und versuche zu lachen.
Wir haben den Wagen am Straßenrand geparkt. Val hat von einem Imbiß drei Kaffee besorgt, die Heizung läuft, die Musik ist aus. Ich bin froh, vom Anstaltsgelände weg zu sein.
Bettina war ein Reinfall. Nach den Tränen gab es noch mehr Tränen, und dann rannte sie auf die Offene zu und verschwand darin. Die Gruppe von Frauen sah uns wütend an, und eine zeigte die ganze Zeit in unsere Richtung. Schließlich verzogen wir uns.
- Ich mag das nicht, sagt Val, Wenn jemand behauptet, ich bin nicht mehr ich.
- Niemand mag das, sage ich.
Theo pustet über seinen Kaffee und schweigt. Er ist seit Bettinas Ausbruch sehr ruhig geworden. Ich erwarte jeden Moment, daß er sich verabschiedet und zum Bahnhof bringen läßt.
- Streichen wir mal Bettinas Gerede auf das Wesendiche zusammen, schlage ich vor und komme mir vor wie ein übermüdeter Student, der nur noch seinen Schein haben will.
- Dann bleibt nicht viel übrig, sagt Theo, Sie hält Val für gesund und dich für einen der Schnellen, das ist das Wesentliche.
- Nimm ihr das nicht übel, sagt Val und streichelt meinen Arm, Es ist ein Wunder, daß sie nicht in einer anderen Sprache gesprochen hat. Denkst du, ich mache Witze? Ich habe das schon erlebt. Wenn wir Besuch hatten, konnte Bettina mächtig aufdrehen. Es gibt schon einige Gründe, warum sie da drinnen besser aufgehoben ist als hier draußen.
—Weiterhelfen tut es uns aber nicht, sage ich.
— Nicht richtig, sagt Val und holt einen Zettel aus ihrer Hosentasche, Für das hier hat es aber gereicht.
Sie faltet den Zettel auf. In kleiner, runder Mädchenschrift stehen da ein Name und eine Adresse.
-Woher hast du das? will Theo wissen.
- Connections, sagt Val und gibt dem Zettel einen Kuß.
Sie hatte Bettina gebeten, noch vor dem Essen ins Büro zu gehen. Val wußte von damals, daß alle Notrufnummern der Ärzte samt Adresse auf einer Pinnwand aushingen. Daran hatte sich in den letzten Jahren nichts geändert. Bettina hatte keine Probleme, sich die Daten abzuschreiben. Von ihr weiß Val auch, daß Dr. Lorrent wirklich im Urlaub ist. Wenn wir etwas Glück haben, verbringt sie ihn zu Hause.
3
Dr. Lorrent wohnt in einem Haus am Rand einer Villengegend. Im Vorgarten steht ein Tannenbaum mit einer
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