Du bist zu schnell
Stufen über uns. Ich beobachte sie, wie sie uns beobachtet. Vals Gesicht scheint ihr nichts zu sagen.
- Wir sind hier, um mit Dr. Lorrent zu sprechen, sagt Val und wendet sich an die Ärztin, Vielleicht erinnern Sie sich. Ich war vor Jahren eine Ihrer Patientinnen, hätten Sie einen Moment Zeit für mich?
Dr. Lorrent klappt der Mund auf, im selben Moment klingelt es. Paul schiebt sich entschuldigend an uns vorbei und öffnet die Haustür.
- Ah, da sind Sie ja! sagt er, Kommen Sie herein, kommen Sie herein und geben Sie mir Ihre Mäntel - vorausgesetzt natürlich, Sie sind von der Stiftung.
Dr. Lorrent führt uns in die Küche. Es riecht nach Keksen und frisch aufgebrühtemTee, aus dem Radio ist Klaviermusik zu hören, eine Katze ist über einen Freßnapf gebeugt und schaut kurz auf. Wir wissen nicht genau, ob wir uns setzen sollen. Dr. Lorrent stellt das Radio aus und bleibt gegen eine Kommode gelehnt stehen, Arme vor der Brust verschränkt.
— Machen Sie es bitte kurz, sagt sie mit einem Blick auf ihre Uhr, Ich habe ein wichtiges Treffen mit den Gründern einer Stiftung und möchte sie nicht warten lassen.
Val streicht sich mit beiden Händen gleichzeitig das Haar hinter die Ohren. Sie ist nervös und will einen guten Eindruck machen.
— Ich war vor Jahren eine Ihrer Patientinnen, beginnt sie
von vorne, Das ist---
— Ich erinnere mich an Sie, unterbricht Dr. Lorrent, Sie heißen Valerie Emmig und waren für drei Wochen in der geschlossenen Abteilung. Psychotische Wahrnehmungen oder so ähnlich.
— So ähnlich, sagt Val.
— Rückfälle?
— Einmal, aber deswegen bin ich nicht hier. Ich ... ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, aber...
Val macht eine kurze Pause, als würde sie die Worte suchen.
-... erinnern Sie sich an mein Erlebnis in der U-Bahn? Sie haben mich öfter darauf angesprochen, ich sollte Ihnen die Szene genau schildern.
Die Ärztin sieht Val nur an. In ihrem Blick ist nichts zu erkennen. Sie könnte genausogut auf einen blanken Bildschirm starren.
— Ich weiß nicht, wie ich Ihnen weiterhelfen kann, sagt sie
schließlich, Ich bin aber ab dem 5. Januar wieder im Institut zu erreichen, dann können wir gerne weitersprechen, ja? Gut, sollte das alles sein, dann würde ich mich freuen, wenn Sie jetzt mein Haus verlassen, weil---
— Warten Sie einen Moment, unterbricht Theo, Sie erinnern sich an Val, Sie erinnern sich aber nicht an ihren Fall?
- Ich habe nicht behauptet, ich würde mich nicht an ihren Fall erinnern, antwortet Dr. Lorrent gereizt, Die Patientin sah Menschen, die schneller waren als normale Menschen. Ist das richtig?
- Das ist richtig, sagt Val.
Zufrieden sieht die Ärztin Theo an. Ihr Blick sagt: Ich habe ein gutes Gedächtnis.
- Und was wäre jetzt Ihr Problem? wendet sich Dr. Lorrent wieder an Val. Ihr Tonfall hat sich verändert, sie klingt professionell, Sehen Sie diese schnellen Menschen noch immer?
Val schüttelt den Kopf.
- Ich sehe sie nicht mehr, aber ich bin mir sicher, daß sie noch immer da sind, Und ich glaube, daß sie mir nichts Gutes wollen. Sie haben mir gedroht, sie ... Wissen Sie, was ich meine? Sie haben doch damals mit einem Arzt über mein Erlebnis in der U-Bahn gesprochen. Könnten Sie mir sagen, wo ich den Arzt finden kann?
- Ich spreche mit vielen Kollegen über meine Fälle. Ich weiß nicht, wen Sie meinen.
Erneut schaut Dr. Lorrent auf ihre Uhr, blickt Val wieder an.
- Kommen Sie im Januar in meine Praxis. Wir können dann in Ruhe über alles reden, jetzt ist Zeit für meine Gäste. Und machen Sie sich keine großen Gedanken. Was in Ihrem Kopf geschieht, kann nicht ausbrechen. Das ist das Schöne an uns Menschen. Wir haben unsere Grenzen.
Sie tippt sich bei »Grenzen« an die Stirn, als hätte sie einen guten Witz gemacht. Zu meiner Überraschung wendet sich Val ab und verläßt die Küche. Theo folgt ihr. Ich will noch etwas sagen, lasse es aber sein und gehe auch. Auf dem Weg zur Haustür höre ich Theo auf Val einreden:
- ... läßt dich so leicht abspeisen? Was stimmt bei dir nicht? Geh zurück, und sag ihr deine Meinung. Los! Du hast
so viele Fragen gehabt. Was war das für ein Auftritt, das geht doch nicht, daß du---
- LASS MICH IN RUHE! brüllt ihn Val plötzlich an, greift sich ihren Mantel und ist draußen.
- He, laß sie, sage ich zu Theo und warte, daß auch er seinen Mantel nimmt. Theo aber macht auf
Weitere Kostenlose Bücher