Du denkst, du weißt, wer ich bin
der Strandstraße sah ich Oonas Auto illegal auf dem Gehweg parken. Ich sah es verblüfft an. »Ist Oona zurück?«
»Natürlich nicht.« Mirandas Stimme war vernichtend. Aus ihrer Tasche zog sie einen altmodischen Schlüsselbund hervor, vom vielen Gebrauch dünn und glatt, und ließ ihn durch ihre Finger gleiten. »Ich habe mir nur ihren Wagen geliehen.« Sie ging und öffnete die Beifahrerseite. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln traf mich wie ein Schlag. »Beeil dich. Steig ein.«
Tu’s nicht . Aber welche Wahl hatte ich? Bis ich ein Telefon gefunden und Lachlan angerufen hätte – die einzige Person, von der ich annehmen konnte, dass sie meine Geschichte glaubte –, könnte es für Dallas zu spät sein.
Ich hatte schon Katie hängenlassen. Das durfte mir nicht noch einmal passieren.
Der Beifahrersitz machte ein knisterndes Geräusch, als ich mich niederließ. Bald sah ich, warum. Das Innere des Wagens war komplett mit Plastik verkleidet – selbst das Lenkrad und der Schalthebel. Ich hatte noch nicht den Sicherheitsgurt gefunden, als Miranda schon losschoss, mit so laut kreischenden Reifen, dass ich aufheulte.
»Hast du dich erschreckt?«, fragte Miranda. »Das wollte ich nicht. Du scheinst zurzeit ein bisschen schreckhaft zu sein. Nicht ganz du selbst.« Sie wandte den Blick von der Straße und sah mich aufmerksam an. »Ist irgendetwas passiert, Olive? Irgendwas, das ich wissen sollte?«
Ich grub meine Fingernägel in den Sitz und schaute weiter angestrengt nach vorn, als ob ich den Wagen durch reine Willenskraft dazu zwingen könnte, auf der Straße zu bleiben. »Nein«, brummte ich.
Miranda starrte mich noch eine Weile an, wandte sich dann aber endlich wieder der Straße zu. Der Rest der Fahrt verging in völligem, tödlichem Schweigen.
Nie hätte ich gedacht, dass ich mich einmal so freuen würde, Oonas Haus zu sehen. Denn so ein Ort war es eigentlich nicht. Fenstergitter und ein wuchtiges BETRETEN VERBOTEN-Schild am Tor wirken nicht eben einladend. Aber an dem Abend, als wir die letzte Biegung auf der kurvigen Straße den Berg hinauf hinter uns brachten und ich es sah, überkam mich größte Erleichterung. Mirandas Schweigen im Auto hatte mir Gelegenheit gegeben, mir eine Art Plan auszudenken. Meine erste Aufgabe war, Dallas zu finden. Dann konnte ich Lachlan anrufen, und zusammen würden wir Dallas dort herausholen.
Miranda kramte eine Fernbedienung aus dem Handschuhfach – dem einzigen Handschuhfach, das ich je gesehen hatte, das tatsächlich voller Handschuhe war –, und die Metalltüren öffneten sich selbsttätig.
Sie parkte das Auto vor dem Haus, in der Nähe des Swimmingpools, und schloss direkt die Haustür auf. »Kommst du jetzt oder was?«, rief sie ungeduldig.
Merkwürdig. In der ganzen Zeit, die ich mit Miranda verbracht hatte, war ich nicht ein einziges Mal bei ihr zu Hause gewesen. In der Grundschule hatten wir immer geglaubt, dass Oonas Haus früher einmal ein Gefängnis gewesen war. Auf alle Fälle sah es so aus. Und Dallas ist der Gefangene , dachte ich, als ich die Treppen zu Miranda hochzusteigen begann.
»Ich komme ja schon«, erwiderte ich. Ich sagte es überlaut und hoffte, dass Dallas mich vielleicht hören konnte und wusste, dass Hilfe unterwegs war.
»Willkommen im Inneren von Oonas Hirnwindungen«, sagte Miranda und schob die Tür für mich auf. Ich trat ein, und sie folgte mir, wobei sie die Tür hinter sich schloss.
Die Luft im Haus hatte denselben starken Geruch nach Desinfektionsmitteln wie Oonas Auto. Zur Linken gab es ein Händewaschbecken, das in der Diele stand wie ein kleiner glänzender Butler. »Wenn Oona hier wäre, hättest du dir schon ungefähr fünfzig Millionen Mal die Hände waschen müssen«, erklärte Miranda. »Abgesehen davon, dass sie dich natürlich gar nicht erst hereingelassen hätte.« Sie lehnte sich vor und hustete absichtlich auf jeden der beiden Wasserhähne, dann lächelte sie gehässig und schlenderte den Flur entlang.
Die Diele war voller Hindernisse. Staubsauger, Gummihandschuhe, noch verpackt, Staubtücher. Eine Schachtel mit Wegwerfpapierslippern rutschte aus einem Karton, und sie raschelten wie Blätter, als wir vorbeigingen. In der Mitte des Korridors stand eine Miniaturarmee von Sagrotanspendern.
Miranda nahm eine Sprühdose Desinfektionsspray. »Sie braucht eine Halbe Dose pro Türgriff jedes Mal, wenn sie in ein Zimmer geht oder es wieder verlässt«, sagte sie. Miranda schien sich zu amüsieren, als ob sie mich so
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