Du denkst, du weißt, wer ich bin
Ballkomitee.«
Katie schnappte nach Luft. Das war eine ganz neue Erfahrung – ausgeschimpft zu werden –, aber ich wusste instinktiv, was sie tun würde.
»Und was ist mit Olive?«, beschwerte sie sich. »Die redet immer, und Sie bestrafen sie nie.«
»Ignorier sie einfach«, flüsterte Ami, als jedes einzelne Augenpaar sich mir zuwandte und mich anglotzte – Lachlans eingeschlossen. Aber wenigstens war sein Blick freundlich.
Mit dem Daumen deutete er auf Katie. Wonk , sagte er mit den Lippen und schüttelte den Kopf auf ulkige, dramatische Art. Ich wusste, dass er das machte, damit es mir besser ging. Und es funktionierte, jedenfalls ein bisschen. Plötzlich hörte man einen Stuhl neben mir am Boden scharren, und die gesamte Aufmerksamkeit richtete sich nun auf jemand anderen.
Jetzt starrten alle Miranda an, die aufgestanden war. »Katie hat nicht geredet«, sagte sie mit klarer und selbstsicherer Stimme. »Ich war es.«
Miss Falippi sah einen Moment aus, als wäre sie aus dem Gleichgewicht geraten. Dann verengten sich ihre Augen. »Ach, wirklich? Und mit wem hast du geredet?«
Auf der einen Seite von Miranda stand ein leerer Stuhl. Auf der anderen Seite war ich – und wir sprachen nie miteinander.
Mirandas Blick flog kurz zu mir, und sie zeigte mir dieses seltsame, hinterlistige Lächeln, als ob ich irgendwie Teil des Stückes wäre, das sie spielte. »Ich habe mit mir selbst geredet«, gab sie zur Antwort.
Miss Falippis Mund war wie mit dem Lineal gezogen. »Und da bist du dir ganz sicher?«
Miranda nickte. »Ja.«
»Also gut«, sagte Miss Falippi knapp. »Dann darfst du nicht am Ball teilnehmen. Du wirst außerdem heute Nachmittag bei mir nachsitzen und einen Aufsatz über die Bedeutung von Ruhe schreiben. Morgen wirst du ihn der Klasse vorlesen. Verstanden?«
Miranda sah Miss Falippi an, fest und furchtlos, mit demselben arroganten Blick wie vor ein paar Tagen, als Katie vor ihr ausgeflippt war. Als ob sie dies alles vollkommen kalt ließe. »Verstanden.«
Miss Falippi sah sich im Raum um. »Lasst mich das klarstellen«, sagte sie. »Wenn noch einer heute redet, der nicht aufgerufen ist, werde ich der ganzen Klasse die Teilnahme am Ball verbieten.«
Der restliche Morgen verging in absolutem Stillschweigen. Niemand wollte derjenige sein, der Miss Falippi zum Ausrasten brachte.
Kurz vor dem Klingeln sah ich, wie Katie sich schnell umwandte und Miranda zunickte. Ein Dankeschön-Nicken. Miranda nickte zurück.
SECHS
Ralph sprang mit heraushängender Zunge an mir hoch, als ich an diesem Nachmittag die Haustür aufschloss. Eine Notiz war in sein Halsband gestopft.
Deine Mum und Toby sind einkaufen gegangen. Sie werden zum Abendessen zurück sein. Kannst du bitte mit mir Gassi gehen? Ich mache deine Mum rasend. Alles Liebe, Ralphy.
»Deine Schrift wird wirklich immer besser, Ralphy«, lobte ich und kratzte seine juckende Stelle zwischen den Ohren. »Ich ziehe mich um, dann gehen wir los. Aber versuche, dich deinem Hundealter entsprechend zu benehmen, okay? Nicht wieder weglaufen.«
Früher war ich immer mit Ralphy am Strand spazieren gegangen, damit er an seinen hündischen Fähigkeiten, Wellen zu beißen und Seegras zu verbellen, feilen konnte. Aber der Strand kam jetzt natürlich nicht mehr infrage. In der Nähe des Swimmingpools konnte ich mich aufhalten, denn er blieb ja ganz flach. Aber der Ozean mit seinen Wogen und Wellen und verborgenen Strömungen verursachte mir klamme Hände. Selbst Doktor Richter hatte mir empfohlen, ihn vorerst zu meiden. » Wir wollen doch keinen Kollaps auslösen «, sagte sie.
So wie Ralphy hin und her sprang, konnte ich mir außerdem vorstellen, dass er mal eine Abwechslung bei seinen Leibesübungen brauchte. Das hieß, zum Wald hinter der Schule und dann den Berg hoch zu laufen.
Dad hatte mich früher immer mit auf Waldspaziergänge genommen, als ich noch in der Grundschule war. Ich habe es ihm nie gesagt, aber ich hatte immer Angst, wenn wir dorthin gingen, hauptsächlich wegen der Geschichten, die wir alle von den älteren Kindern gehört hatten: über den Kannibalen, der in den Bäumen lauerte. Nie vom Weg abkommen , warnten wir uns gegenseitig. Sonst kriegt er dich.
Der Wald war dunkel und feucht und voller knorriger Baumwurzeln, die einem ein Bein stellen konnten. In den Märchen, die Mum mir als Kind vorgelesen hatte, war der Wald immer der Ort, wo die Hexen lebten oder wo Rabeneltern ihre Kinder aussetzten. Unser Wald war der, den ich mir immer beim
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