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Du denkst, du weißt, wer ich bin

Du denkst, du weißt, wer ich bin

Titel: Du denkst, du weißt, wer ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Bailey
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Zuhören vorstellte.
    Doch an diesem Nachmittag schien die Sonne hell und warm, und ich freute mich richtig darauf loszulaufen. Mir war, als hätte ich mich ewig nicht mehr körperlich betätigt. Als wir den Highway überquerten, um in den Wald zu kommen, ließ ich Ralph von der Leine, und schon preschte er davon, imaginären Kaninchen hinterher. Ich setzte meine Kopfhörer auf und wärmte mich für einen Lauf. Ich tat so, als befände ich mich in einem Tropengarten mit dem Duft von Früchten und Blumen, und nicht in einem dämpfigen Wald, der nach Verrottung stank. Ich fing an zu summen und joggte leichten Schrittes hinter Ralphy her.
    Wir waren noch nicht weit gekommen, als Ralph plötzlich erstarrte. Seine Nackenhaare stellten sich auf.
    »Was hast du, du verrückter Hund?«, fragte ich, nahm meine Ohrstöpsel raus und blieb neben ihm stehen. »Sind diese Geisterhäschen wieder abgehauen?«
    Aber dann sah ich, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte.
    Vor uns auf dem Pfad hob sich eine Gestalt gegen das schwindende Licht ab. Zuerst war ich überzeugt, es wäre Miranda, aber schon einen Moment später war ich nicht mehr so sicher. Die Gestalt war zu weit entfernt und zu schwer zu erkennen. Ich hatte das unangenehme Gefühl, dass, wer immer es war, mich beobachtete. Und wartete. Ich fühlte schlagartig ein scharfes Stechen im Kopf und schloss vor Schmerzen die Augen. Als das Pochen vorüber war, war die Gestalt verschwunden.
    Ralph steckte die Nase in die Luft und schnüffelte, seine Muskeln noch angespannt.
    »Ralphy«, flehte ich. »Bleib bei mir.«
    Aber ich hatte den Satz noch nicht einmal zu Ende gesprochen, da war er den Pfad hinunter gelaufen und bellte lauthals. Das Licht schwand merklich, und kalte Nachtluft kam auf.
    »Ralph?« Ich klang weinerlich, kindisch. »Komm hierher !«
    Aber Ralph ignorierte mich wie gewöhnlich, und mir blieb nichts anderes übrig, als weiter den Pfad entlangzulaufen, in der Hoffnung, er würde nicht davon abweichen. Der Wald war sehr still geworden. Keine Vögel. Keine Insekten. Es war, als wären alle Lebewesen verschwunden.
    Und dann hörte ich etwas – ganz schwach. Das Krachen und Knicken von Zweigen und Ästen am Boden. »Ralphy?« Mir stockte der Atem.
    Nein, mit Sicherheit nicht Ralph . Dies war ein menschliches Wesen, und vom Geräusch her zu urteilen, rannte es durch das dichte Unterholz des Waldes. Auf mich zu.
    Meine Brust schnürte sich zusammen. Atme, Olive. Bloß nicht ausrasten . Andauernd liefen Leute durch den Wald – die ganze Zeit. Vollkommen normale, nicht furchterregende Leute. Aber meine Atmung weigerte sich zu entspannen.
    Das Geräusch wurde lauter. Kam näher. Und dann konnte ich noch ein Geräusch hören – ein tiefes keuchendes Geräusch, das überall widerzuhallen schien. Panik überwältigte mich.
    Eine Person kam in mein Blickfeld gestolpert, torkelte unsicher durch einen Spalt zwischen den Bäumen. Miss Falippi? Ich hatte sie so noch nie gesehen. Ihre Haare voller Blätter, die Kleider voller Schmutz. Sie hatte einen wilden Ausdruck in den Augen, und sie drehte sich immer wieder nach hinten, um zu sehen, ob irgendjemand oder irgendetwas hinter ihr her war.
    Das ist ja wie im Film , dachte ich vollkommen verstört. Die Szene, in der die panische Frau durch den Wald gejagt wird. Als sie nähergestolpert kam, sah ich mit Schrecken, wie unkoordiniert ihre Pupillen waren, und wie rot. Ich hatte natürlich diese Drogengerüchte über Miss Falippi gehört, sie aber nie ernst genommen.
    Miss Falippi blieb stehen und lehnte sich an einen Baum, ein paar Meter von mir entfernt. Sie atmete keuchend ein und aus. Wusste sie überhaupt, dass ich hier war? Sie schien so hyper aufgedreht. Ich trat einen Schritt vor und berührte sie leicht am Arm. »Miss Falippi? Alles in Ordnung?«
    Miss Falippi wirbelte herum, ein Ausdruck reinsten Entsetzens im Gesicht, als wäre ich eine Art Monster. »Hör auf, mir nachzulaufen! Ich habe doch gesagt, du könntest gehen! Bitte … geh doch!« Dann fing sie an, zu winseln. »Oh, was hast du mit mir gemacht?«
    Meine Kehle war vor Angst zugeschnürt. Miss Falippis Pupillen waren so geweitet, dass die Augen fast schwarz wirkten, und auf ihrer Stirn glänzten jede Menge Schweißperlen. Sie trug ihr Medaillon nicht, und genau das war es, was mir am meisten Angst bereitete. Sie sah einfach nicht wie sie selbst aus ohne das Medaillon. Ungeschützt.
    »Ich bin’s, Olive, Miss«, sagte ich sanft und versuchte, meine Stimme

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