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Du denkst, du weißt, wer ich bin

Du denkst, du weißt, wer ich bin

Titel: Du denkst, du weißt, wer ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Bailey
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Streitereien nahtlos zu Gelddingen über und dann zu Scheißtagen bei der Arbeit. Nach dem Vorfall also, und nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war, entschied ich, die alte Olive ein für alle Mal sterben zu lassen. Ich schuldete dem Rest, der von meiner Familie übrig geblieben war, den Mund zu halten, meine Medikamente zu schlucken und nicht noch mehr Ärger zu machen.
    Als ich spürte, dass ich dem Aussichtspunkt schon ganz nahe war, wurde ich langsamer und fuhr rechts ran. Es war zu dunkel, um das Meer zu sehen, und zuerst bemerkte ich das Rad – ein Rennrad – nicht, das gegen die Mauer gelehnt war. Und selbst als ich es entdeckt hatte, war mein erster Gedanke: Das ist seltsam. Jemand hat sein Rad hier stehenlassen. Aber schon eine Sekunde später sah ich den Besitzer des Rads mit übereinander geschlagenen Beinen auf der Mauer sitzen und auf den Ozean hinaus blicken.
    Lachlan sah so friedlich aus. So ruhig und unbekümmert. Plötzlich verspürte ich einen Anfall von Neid. Jemandem wie ihm könnte niemals etwas Schlimmes passieren. Lachlan Ford war einfach einer dieser Menschen, die wie ein Dampfer durch das Leben steuerten, beständig und mühelos.
    So war ich auch einmal gewesen. Obwohl – ich glaube, ich war weniger ein Dampfer als eine Dampfwalze und machte alles platt, was sich mir in den Weg stellte. Die alte Olive tat, was sie wollte, wann sie wollte.
    Ich versuchte, meinen Atem zu beruhigen. Weg hier. Bevor er dich sieht. Denn wenn Lachlan mich in diesem Moment angelächelt hätte, hätten sämtliche Medikamente der Welt nicht ausgereicht, um einen Weinkrampf zu verhindern. Leise wendete ich mein Rad. Stellte meinen Fuß auf ein Pedal. Und fuhr prompt über eine Glasscherbe. Ich hörte das vipernartige Zischen, als die Luft aus meinem Vorderrad entwich.
    Lachlan musste es auch gehört haben. Oder er hatte schon die ganze Zeit gewusst, dass ich da war. Als ich mich mit dieser schlappen Schlange beschäftigte, die mal ein Vorderreifen gewesen war, hörte ich ihn von der Mauer springen und herkommen – auf seine langsame, lässige Tour. »Hast du irgendwas dabei, um das zu reparieren?«
    Sonst nichts. Keine Begrüßung. Kein Wort darüber, dass ich seit Wochen im Klassenzimmer und auf den Gängen jeglichen Augenkontakt vermieden und ihn total ignoriert hatte. Mein Herz machte einen Satz, und wieder spürte ich den Hauch eines Zweifels. Der mich überlegen ließ, ob Lachlans offensichtliches Interesse echt war und nicht nur ein gemeiner Gag. Aber ich verwarf ihn sofort wieder. Es konnte einfach nicht wahr sein. Gott allein weiß, um was es bei seinem seltsamen Pseudoflirten ging. Vielleicht machte er das bei jeder.
    »Natürlich«, sagte ich. Ich hatte immer Flickzeug in einer Tasche unter meinem Sattel dabei. Das war für Dad immer das A und O gewesen – dass man seine Sachen selbst reparieren konnte. Du kannst dich nicht darauf verlassen, dass jemand anderer dir die Sachen flickt, hatte er immer gesagt . Es ist besser, du lernst es selbst.
    Ich stellte mein Fahrrad hochkant und löste das Rad. Dann fischte ich das Werkzeug hervor, mit dem man den Reifen von der Felge löste. Ich konnte Lachlan direkt neben mir spüren. Er beobachtete mich. Sein Körper strahlte Wärme aus.
    »Brauchst du Hilfe?«
    »Nein, danke.« Dann fügte ich, ein wenig kurz angebunden, hinzu: »Du brauchst nicht hier rumzuhängen. Ich habe alles im Griff.« Dachte er, ich wäre nicht in der Lage, einen Reifen zu wechseln? Dass alle Mädchen auf Hilfe von großen, starken Jungen wie ihm warten müssten?
    »In Wirklichkeit muss ich hier rumhängen.« Lachlan zeigte auf sein Rennrad. »Ich habe auch einen Platten«, erklärte er ein wenig kleinlaut. »Kann ich mir dein Flickzeug leihen?«
    Ich sah ihn neugierig an. »Wie lange wartest du hier schon?«
    Er hatte so ruhig ausgesehen, wie er da auf der Mauer gesessen und auf das Meer geblickt hatte. Überhaupt nicht wie jemand, der mit einem Platten liegengeblieben war.
    »Halbe Stunde? Vielleicht länger.«
    »Und du hast noch niemanden angerufen?«, fragte ich. »Oder dich auf den Weg zurück in die Stadt gemacht?«
    Lachlan zuckte mit den Schultern. »Nein. Ich nahm an, früher oder später würde jemand vorbeikommen.« Er grinste mich an. »Hat ja geklappt.«
    Ich ließ die Luftpumpe fallen. Hob sie wieder auf. »Tollpatsch«, murmelte ich. Ich sammelte die Sachen aus dem Flickzeugpäckchen zusammen und gab sie ihm. »Hier.«
    Lachlan sah sich das Flickzeug zweifelnd

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