Du denkst, du weißt, wer ich bin
doch immer so gut darin, anderen Leuten ein Rating ihres Aussehens zu geben«, sagte sie. »Vielleicht wird es Zeit, dass ich das mit dir auch mal mache. Du weißt schon. Nur um sicherzugehen, dass du nicht auch als Verkehrsunfall endest. Wenn das einmal passiert, bleibt es nämlich dabei. Kein Weg zurück – du erinnerst dich.«
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich mir dieses Szenario nicht schon einmal vorgestellt hätte – dass Katie genau so behandelt wurde, wie sie andere behandelt hatte. Wie sie mich behandelt hatte, seit wir keine Freundinnen mehr waren. Allerdings hatte ich mir nie vorgestellt, dass es so passieren würde, als sie schon gebrochen und verlassen war. Ein Teil von mir wollte dazwischengehen, aber Amis Warnung klang mir in den Ohren. Geh ihr um jeden Preis aus dem Weg .
Miranda hatte schon angefangen, um Katie herumzugehen und sie von allen Seiten zu begutachten. »Wir können gleich mit den Haaren weitermachen«, fuhr sie fort. »Ich kann schon deine Kopfhaut sehen. Kein schöner Anblick, da müsstest du mir zustimmen. Und deine Haut? Igitt, Katie. So käsig-weiß. Du siehst aus wie eine Leiche.«
Werde zornig, suggerierte ich Katie. Schieb sie weg und geh . Aber alles, was Katie tat, war nicken. Als ob Miranda ihr einen Gefallen täte.
Miranda prüfte Katies Kleid und schüttelte bedauernd den Kopf. »Deine Kleider sind so fade. Ich meine, was ist das, was du da anhast? Ein Sack? Aber ich glaube, egal, was du trägst, die meisten Dinge würden an dir wie ein Sack aussehen.«
»Ich will den Test machen«, sagte Katie und, obwohl ihre Stimme flüsternd leise war, schwang eine gewisse Entschlossenheit mit. »Der Test, von dem du sagst, dass alle Models in Europa ihn vor einer Show bestehen müssen.«
»Nein«, entgegnete Miranda scharf. »Das kannst du nicht. Nicht hier.«
Katie hob die Arme und streckte sie zur Seite aus. »Du brauchst kein Maßband, um die Maße festzustellen«, bettelte sie. »Du kannst es doch beurteilen, wenn du mich nur ansiehst. Bitte. Sieh mich nur an.«
»Eigentlich hast du recht«, sagte Miranda plötzlich. »Ich kann es dir ansehen. Wieder schlechte Neuigkeiten, Katie. Du bist viel zu dünn.«
In der Ferne krachten und brausten die Wellen.
»Zu dünn?«, krächzte Katie. »Geht das überhaupt?«
»Aber natürlich. Gott, Katie. Hast du in letzter Zeit mal in einen Spiegel geschaut? Du bestehst nur noch aus Haut und Knochen. Es ist abstoßend.«
Jetzt konnte ich den Schrei, der aus mir drang, nicht mehr kontrollieren. » Hör auf! Schluss jetzt! « Ich konnte nicht mehr einfach nur aus dem Schatten zusehen. Nicht, wenn jemand bei lebendigem Leibe vor meinen Augen zerfleischt wurde. Selbst wenn er mich nicht um meine Hilfe gebeten hatte.
Katie und Miranda drehten sich um und sahen mich an. Katies Gesichtsausdruck war so unbestimmt, dass ich nicht wusste, ob sie mich überhaupt erkannte. Aber es war Mirandas Ausdruck deutlich anzusehen, dass sie Bescheid wusste. Mit einem plötzlichen Schauer wurde mir klar, dass sie gewusst hatte, dass ich da war, die ganze Zeit.
»Bist du jetzt etwa auf Katies Seite?«, fragte sie. »Wie seltsam. Wenn man bedenkt, wie du sie abserviert hast.«
Ich brachte den wütendsten Ausdruck auf, der mir zur Verfügung stand, und versuchte alles, um den pochenden Schmerz in meinem Schädel zu ignorieren. Was war nur an Miranda, dass ich in ihrer Nähe immer Kopfschmerzen bekam? »Lass sie einfach in Ruhe«, sagte ich.
Miranda schnaubte. »Mit Vergnügen.«
Katie blieb einen Moment unbeweglich stehen und sah Miranda an. Dann floh sie lautlos in die Dunkelheit.
Mein Herz begann zu rasen, als ich Cameron anguckte, auf der Bank zusammengesackt, den Kopf in die Hände gestützt. »Willst du ihr nicht nachgehen?«, verlangte ich.
»Sie will mich nicht sehen«, nuschelte er.
Ich konnte seinen Anblick kaum ertragen. Ich hatte recht gehabt , ihn in die Wüste zu schicken , dachte ich wütend. Dieses feige Stück Scheiße.
»Dann gehe ich«, fauchte ich. »Allein.«
Es ist natürlich ziemlich eigenartig, jemanden suchen zu gehen, den man nicht besonders mag, aber auf keinen Fall konnte ich Katie alleine weglaufen lassen – so durcheinander und offensichtlich krank. Ich hatte Miss Falippi gehen lassen. Diesen Fehler wollte ich nicht noch einmal machen.
Ich drehte mich um und stürmte davon, aber bevor ich besonders weit gekommen war, spürte ich eine Hand auf meinem Arm – eine Hand, die warm und beruhigend war.
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