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Du denkst, du weißt, wer ich bin

Du denkst, du weißt, wer ich bin

Titel: Du denkst, du weißt, wer ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Bailey
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»Er ging, ohne sich zu verabschieden, und ich wusste, dass es meinetwegen war. Ich fühlte mich wie – ein Versager.«
    Miranda nickte mitfühlend, und plötzlich brach alles aus mir heraus – alles, was an diesem Morgen am Strand passiert war. Ich erzählte ihr, wie die alte Olive fast jeden Morgen mit Ralphy am Strand joggte und, wenn es warm genug war, auch schwimmen ging. Dieser Morgen hatte wie alle anderen angefangen – oder jedenfalls hätte es für jemand anderen so ausgesehen. Trainingsanzug und T-Shirt an. Der Lauf zum Strand hinunter. Mein Handtuch – ordentlich auf dem Sand ausgebreitet, als ob ich die Absicht gehabt hätte, wieder zurückzukommen. Dann kraulte ich Ralphy hinter den Ohren, sagte ihm, dass er der beste Hund aller Zeiten sei und marschierte mit großen Schritten ins Wasser. Als es tief genug war, ließ ich mich vom Wasser hochheben und davontragen.
    Es war alles so sanft – und so erklärte ich es auch Miranda. Nicht gegen die Strömung zu kämpfen. Nur mit ihr zu schwimmen. Mein Plan war, mich vom Meer weiter und weiter wegtreiben zu lassen. Ich stellte mir vor, dass entweder meine mit Wasser durchtränkte Kleidung oder die Erschöpfung mich in die Tiefe ziehen würden. Ich hatte nicht erwartet, dass es so lange dauern würde. Ich fühlte mich, als sei ich schon halb ertrunken.
    Aber der Ozean wies mich ab. Anstatt mich zu verschlingen, schob er mich immer wieder ans Ufer. Und am Strand rastete Ralphy total aus, bellte und bellte. Obwohl er wahrscheinlich die Algenmonster ankläffte und nicht mich, schaffte er es, eine Surferclique zu alarmieren. Ich nehme an, sie dachten, sie würden mich retten , als sie mich herausfischten.
    Ich wurde augenblicklich in die Klinik eingewiesen und unter vierundzwanzigstündige Beobachtung gestellt, denn ich war eine Gefahr für mich selbst . Ich musste zu einer Therapiestunde nach der anderen gehen und über meine Gefühle reden. Ich war wochenlang dort. Dad besuchte mich nicht ein einziges Mal, obwohl er von Mum ganz sicher wusste, was ich getan hatte. Das war es, was am meisten wehtat – dass er sich nicht einmal überwinden konnte, mich zu besuchen, nachdem ich das Schlimmste getan hatte, was man sich vorstellen kann.
    Nachdem all das aus mir rausgesprudelt war, kauerten Miranda und ich eine Ewigkeit auf dem Boden. Sie versuchte nicht, etwas von dem zu sagen, was die Leute sonst so sagten – was es für eine Tragödie gewesen wäre, wenn ich es geschafft hätte, und dass es doch so viel gäbe, für das es sich zu leben lohnte. Sie saß bloß da und nahm alles still auf. Schließlich hob sie eins der Fotos auf – ich, Toby, Mum am Strand, die Arme umeinandergelegt, lächelnd. Sogar Ralphs großer Zottelkopf hatte sich noch dazwischengequetscht.
    »Dein Dad ist hier nicht drauf.«
    Ich zeigte auf einen verschwommenen Umriss in der linken unteren Ecke des Fotos. »Das ist sein Daumen«, erklärte ich. »Er hat das Foto gemacht.« Und ich fing an zu lachen, weil mir plötzlich aufging, wie lächerlich es war, ein Foto aufzubewahren, auf dem von jemandem nur der Daumen zu sehen war. Miranda lächelte, aber sie lachte nicht. Sie starrte lange Zeit auf das Foto. »Du kannst glücklich sein, das alles zu besitzen«, sagte sie schließlich. »Ich habe nichts, das mich an meine Eltern erinnert. Alles ging verloren, als ich von einem Verwandten zum nächsten geschoben wurde.«
    Ich nahm mir ein Kissen und presste es gegen meine Brust. Plötzlich fühlte ich mich schuldig. Ich hätte Miranda vorhin nicht so anfahren sollen. Ich war nicht der einzige Mensch, dem schreckliche Dinge passiert waren. »Bei wie vielen Leuten hast du schon gelebt?«
    »Das weiß der Himmel«, antwortete Miranda bitter. »Ich zähle schon gar nicht mehr mit. Ich hatte mich immer gerade bei neuen Leuten eingewöhnt, als man mir plötzlich sagte, ich sollte wieder packen.«
    »Aber warum?«
    Miranda atmete langsam aus. »Ich glaube, ich war schwierig. Schwer zu kontrollieren. Ich spielte alle möglichen Streiche und versuchte, die Aufmerksamkeit von den Leuten zu bekommen, und sie verstanden es immer falsch – als ob ich böse sei oder so etwas. Mich weiterzureichen war immer die einfachste Lösung.«
    »Ich war als Kind auch schwierig«, gestand ich. »Jedenfalls laut Mum. Ich glaube, deswegen ist auch so ein großer Altersunterschied zwischen mir und Toby.«
    »Nur, dass deine Mum dich geliebt hat«, sagte Miranda. Irgendwann während unserer Unterhaltung hatte sie sich bewegt,

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