Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Du denkst, du weißt, wer ich bin

Du denkst, du weißt, wer ich bin

Titel: Du denkst, du weißt, wer ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Bailey
Vom Netzwerk:
ohne dass ich es bemerkt hätte, sodass sie mir jetzt genau gegenüber saß. »Anders als die Leute, die sich mit mir abfinden mussten. Zuerst habe ich mir echt viel Mühe gegeben. Damit sie mich mochten, meine ich. Am Ende habe ich gemerkt, dass das bloße Zeitverschwendung war. Also gab ich auf.« Während sie sprach, entwirrte Miranda die Fransen des Teppichs mit den Fingern und glättete sie Faden für Faden. Dabei erhaschte ich flüchtig einen Blick auf eine Reihe dunkelroter Narben auf ihrem Unterarm.
    »Oh, Miranda«, stieß ich hervor, und mein Atem blieb mir im Hals stecken. Ich erinnerte mich an den Tag vor dem Mercury , als es geregnet hatte, und an das Make-up auf ihrem Arm. »Das muss ätzend gewesen sein.«
    Mirandas Gesicht verdüsterte sich. »Weißt du, wie es ist, wenn du als Sechsjährige merkst, dass deine angeblichen Erziehungsberechtigten Angst vor dir haben?«, fauchte sie. »Danach hasst du sie. Du möchtest sie verletzen, und alles, was sie lieben, zerstören.«
    Den Flur hinunter in der Küche hörte ich Mum und Toby alles zum Abendessen vorbereiten. Das Klirren der Schüsseln, das metallische Klappern des Bestecks. »Warum hatten sie Angst?«
    Mirandas Augen, denen meine begegneten, waren aus Stein. »Weil ich meine Eltern umgebracht habe«, antwortete sie.
    Mein Herz rutschte mir in die Hose. Miranda Vaile, die Elternmörderin . Dieses alte Gerücht, aus der fernen Vergangenheit.
    »Aber du warst doch noch ein kleines Kind!«, protestierte ich und versuchte, ruhig zu klingen. »Sind sie nicht bei einem Verkehrsunfall gestorben?«
    Sie nimmt mich auf den Arm, dachte ich,und wollte, dass in Mirandas Gesicht wieder ein Grinsen auftauchte. Weil sie mich auslachte, dass ich wieder auf einen ihrer Scherze reingefallen war. Denn wenn das stimmte – wenn sie nun doch ihre Eltern umgebracht hatte –, was würde noch kommen?
    Mirandas Ausdruck änderte sich nicht. »Ich erinnere mich an den Unfall«, fing sie an. »Obwohl ich erst zwei Jahre alt war. Wir waren gerade an einem Spielplatz vorbeigefahren. Dort stand eine Rutschbahn in Form eines Elefanten. Ich wollte unbedingt dort spielen, aber meine Eltern hielten nicht an. Ich schrie und schrie. Ich war so wütend, so in meinem Sitz festgeschnallt zu sein – und ich wollte mich rächen. Ich erinnere mich, dass ich das Auto zum Stoppen bringen wollte, ich wollte es mit aller Macht. Und dann stoppte es tatsächlich … es krachte in einen Baum.« Mirandas Gesicht war aschfahl. »Sie waren beide sofort tot.«
    Ich streckte die Hand aus. »Miranda, das war doch nicht deine Schuld.«
    »Nicht?«, fragte sie völlig aufgelöst. »Meine Verwandten denken alle, doch. Ein Onkel hat mir immer gesagt, dass mein Geschrei meinen Vater so abgelenkt hat, dass er von der Straße abgekommen ist. Sie konnten alle nicht abwarten, mich loszuwerden – mich wie einen Virus weiterzugeben, bis Oona schließlich eingewilligt hat, mich aufzunehmen. Aber wer weiß, wie lange ich bei ihr überleben werde.«
    »Es muss ziemlich interessant sein, bei Oona zu wohnen«, warf ich ein und stellte mir ihr merkwürdiges, festungsartiges Haus oben auf dem Hügel vor. Das war mein Versuch, das Thema zu wechseln. Zu weniger schmerzhaften Sachen zu kommen.
    Miranda schnaubte. »Interessant? Es ist, als ob du atmen willst und dir jemand ein Kissen übers Gesicht hält.«
    »Also, du bist hier jederzeit willkommen«, sagte ich, und sofort fühlte ich mich total dämlich. Das hatte so absolut wonkisch geklungen. Aber Miranda hob den Kopf, und ich war überrascht, wie begeistert sie aussah.
    »Wirklich?«, fragte sie. »Meinst du das auch ernst?«
    »Natürlich«, hörte ich mich sagen. »Komm her, wann immer du Lust hast.«
    Miranda wischte sich die Tränen weg und lächelte. Wenn ich geheult habe, dauert es ewig, bis mein Gesicht wieder normal aussieht. Aber eine Sekunde später verriet nichts, dass Miranda überhaupt geweint hatte.
    »Danke«, sagte sie. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel mir das bedeutet.«
    Mums Stimme hallte vom Flur zu uns herüber, übertüncht vom Geruch nach zerkochtem Kürbis. »Essen!«
    »Ich muss«, sagte ich und stand auf. »Dieser Eintopf ist sogar noch schlimmer, wenn er kalt wird. Und du wolltest dich ja sowieso für dein Date aufbrezeln. Ich kann kaum abwarten, was du morgen erzählst.«
    Miranda nickte. »Ich muss mich nur gerade noch sammeln. Und meine Sachen einpacken.« Sie steckte die Sachen, die sie sich ausborgte, in eine Tüte, dann

Weitere Kostenlose Bücher