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Du denkst, du weißt, wer ich bin

Du denkst, du weißt, wer ich bin

Titel: Du denkst, du weißt, wer ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Bailey
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Haufen Kohle kriegen.«
    »Wusste ich es doch!«, triumphierte ich.
    »Oh-oh«, sagte Miranda und legte sich eine Hand über den Mund. »Das hätte ich nicht sagen sollen. Jetzt wirst du ihn mir nicht mehr leihen, oder?«
    »Doch, natürlich. Solange du ihn nicht verkaufst«, sagte ich und grinste. »Aber er wird dir zu groß sein.«
    »Ich kann ihn zusammenstecken«, meinte Miranda. »Er ist perfekt.«
    Sie fand noch ein paar andere Sachen, die ihr gefielen – ein Stretchtop, das zu dem Rock passte, und eine Halskette, die ich mir selber aus ein paar kaputten Ketten gebastelt hatte. Ich machte Musik an und streckte mich auf den Kissen auf dem Boden aus, während sie alles durchwühlte, und fühlte mich, wie ich mich seit ewigen Zeiten nicht gefühlt hatte. Glücklich. Ich meine, ich hatte mich oft glücklich gefühlt, wenn ich mit Ami abgehangen hatte, aber das hier war anders. Ami musste mich mögen, genau genommen. Miranda nicht. Wenn überhaupt, hatte sie jede Menge Gründe, mich nicht zu mögen – nach dem, was ich ihr vorgeworfen hatte. Und trotzdem waren wir hier und verstanden uns besser und besser. Und alles fühlte sich so selbstverständlich an.
    »Was ist das denn?«, fragte Miranda und hielt ein Bündel hoch, das mit einem Schal zusammengebunden war.
    Ich starrte sie an, der Atem blieb mir im Hals stecken. Meine Beweise. Wie hatte sie sie finden können? Ich dachte, ich hätte sie so sorgfältig versteckt. »Leg das sofort wieder zurück!«
    Die Schärfe in meiner Stimme ließ Miranda zusammenzucken, und das Bündel fiel in ihren Händen auseinander. Der Inhalt fiel zu Boden – alles Sachen, die ich mir seit Monaten nicht angeschaut hatte. Fotos meiner Familie bei einem Strandpicknick im letzten Sommer. Die abgewetzte Karte mit dem Foto von einem kleinen Mädchen, das einen Korb voll Blumen hält. Heute wirst du fünf ! Ein Armband mit Anhängern, das aus dem verkrumpelten rosa T-Shirt gefallen war, in das ich es eingewickelt hatte.
    Miranda beugte sich runter und begann, die Sachen, eine nach der anderen, aufzuheben. Sie drehte und wendete sie in den Händen. »Was ist das für ein Zeugs?«
    »Nichts«, blaffte ich. Am liebsten hätte ich ihr alles aus den Händen gerissen und es vor meiner Brust zusammengerafft. Die alten Gefühle wogten wieder auf und drohten überzulaufen.
    Miranda öffnete die Karte, und ich konnte die Worte in meinem Kopf hören, die sie im Stillen las. Herzlichen Glückwunsch, Mäuschen. Ich liebe dich mehr, als du dir vorstellen kannst.
    Als Nächstes nahm sie das Armband. Es funkelte, als sie es ins Licht hielt. »Das ist ja so hübsch. Du solltest es tragen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, kann ich nicht.« Keine gute Idee, etwas zu tragen, bei dem du flennen musst.
    Mirandas Augen wandten sich mir zu. »Das ist alles von deinem Dad, stimmt’s?«
    »Er hat mich geliebt, weißt du«, sagte ich heftig. »Früher. Diese Dinge beweisen es.«
    Miranda legte das Armband hin. »Natürlich.« Ihre Stimme war sanft und besänftigend. »War er …« sie zögerte. »War es, weil er euch verlassen hat, dass du – du weißt schon – diesen Selbstmordversuch begangen hast?«
    Meinen Versuch . So beschrieben es immer die Ärzte. Für mich hatte es sich nicht angefühlt, als würde ich etwas versuchen. Ganz im Gegenteil. Ich fummelte an meinem Ärmel herum.
    Ich hatte es gut geschafft, den Groll und die Depression gerade so zu verbergen. Ich arbeitete hart, damit es so aussah, als ob mein Leben das gleiche glückliche, strahlende Etwas sei, das alle vorher bewundert hatten. Die schöne, allseits beliebte, kluge kleine Olive. Aber in meinem Inneren hatte ich mich nicht so gefühlt. Und je mehr Zeit verging, desto mehr kam ich mir wie eine Hochstaplerin vor. Ich spielte die Rolle von jemandem, der ich nicht war. Es war Angst einflößend: Wenn ich nicht die Person war, für die mich alle hielten, wer war ich dann?
    In der Schule hielt ich – so gerade – die Illusion aufrecht, dass sich nichts geändert hätte. Aber zu Hause war es unmöglich. Die schwarzen, zornigen Gefühle wallten in mir auf, kaum dass ich durch die Haustür trat, und an manchen Abenden konnte ich kaum sprechen. Mum stopfte ununterbrochen Vitamine in mich hinein und tat so, als sei alles in Ordnung. Aber nicht Dad. Es war mir klar, dass ich ihn enttäuschte. Als er ging, wollte er mir nicht einmal mehr in die Augen sehen.
    »Es passierte nicht lange, nachdem Dad gegangen war«, hörte ich mich zu Miranda sagen.

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