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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Barreau
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Zähesten von allen. Hältst du es für
möglich, daß sie den Brief geschrieben hat?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist nicht gewitzt genug, um so
etwas hinzubekommen. Eigentlich hat sie gar keinen Sinn für Humor.«
    Â»Schade.« Bruno trank sein Glas leer.
»Ich fürchte, wir werden das Geheimnis der Principessa heute abend nicht mehr
lüften. Vielleicht durchforstest du mal dein Gehirn nach weiteren
unglückseligen Begegnungen mit den Damen. So viele werden es doch hoffentlich
nicht gewesen sein?« Er zwinkerte mir zu und winkte dem Wirt. »Außerdem steht
es dir ja frei, den Brief zu beantworten und entsprechende Fragen zu stellen.
Meinen Segen hast du! Und halt mich auf dem laufenden! Spannende Sache.«
    Als wir das La Palette verließen, war es halb zwölf. Ein
leichter Regen senkte sich auf die Stadt, und ich ging nachdenklich mit Cézanne
über das glänzende dunkle Pflaster und lauschte dem Hall meiner eigenen
Schritte. Die Nacht war friedlich, so ganz anders als die Nacht davor. Und wenn
es doch Charlotte gewesen war? Unwahrscheinlich wie es schien, konnte man das,
was wir beide miteinander gehabt hatten, oder besser gesagt, nicht gehabt
hatten, durchaus eine ›unglückselige Begegnung‹ nennen. Zumindest war sie nicht
von Vollzug gekrönt gewesen.
    Ich fühlte den Brief in meiner Tasche und beschloß, ihn mit dem
Zettel, den ich morgens am Spiegel gefunden hatte, zu vergleichen. Dann würde
man ja sehen, ob der Stein von Rosette ins Rollen kam.
    Als ich in den dunklen Innenhof trat, brannte bei Madame
Vernier noch Licht, und ich hörte leise Musik. Das war ungewöhnlich, denn
Madame war eine leidenschaftliche Missionarin, wenn es um den »gesunden Schlaf
vor Mitternacht« ging – alles andere war schädlich für den »Teint«.
    Â»Auch
Sie sollten mehr auf sich achten, Monsieur Champollion«, hatte sie mir erst
noch neulich geraten, nachdem sie von einem langen Spaziergang mit Cézanne
zurückgekehrt war.
    Langsam stieg ich die ausgetretenen Steinstufen hoch, die zu meiner
Wohnung im dritten Stock führen, Cézanne sprang munter neben mir her, er war
zweifellos der Ausgeruhtere von uns beiden. Ich schloß die schwere Holztür auf
und trat in die Diele. Was für ein Tag, dachte ich mit der Naivität eines
Menschen, der sich einen verdienten Moment der Ruhe in seinem Sessel gönnen
will – nicht ahnend, daß ab jetzt jeder Tag den vorherigen noch an Aufregung
überbieten wird.
    Ich ließ mich tiefer in den Sessel rutschen, streckte die Beine aus
und zündete mir einen Zigarillo an, bevor ich, ich gestehe es – ohne große
Erwartungen und nur um ganz sicher zu gehen, noch einen Blick auf das
Zettelchen von Charlotte werfen wollte. Ich ließ meinen Blick wohlgefällig im
Wohnzimmer umherschweifen. Das rote Sofa mit den vielen verschiedenen Kissen.
Der englische dunkelbraune Ledersessel. Die alten und modernen Gemälde, die in
schönster Harmonie nebeneinander an den verputzten Wänden hingen. Die silberne
Karaffe mit den geschliffenen Gläsern auf dem Vertiko. Die schweren Vorhänge
vor den französischen Fenstern, die einen winzigen Austritt auf die kleinen
verschnörkelten Eisenbalkone erlaubten. Die antike Louis-Seize-Sonne mit ihrem
kleinen runden Spiegel in der Mitte. Die wunderbare Nachbildung von Rodins
»Kuß«, die auf dem alten Architektenschrank stand, in dem ich Lithographien
aufbewahrte und der glänzte, als sei er frisch poliert. Mein kleines Reich,
mein Refugium, das ich mir selbst geschaffen hatte und in dem ich neue Kraft
schöpfte. Ich seufzte zufrieden.
    Alles war sauber und aufgeräumt. Zu sauber
und aufgeräumt.
    Erst allmählich kam mir in den Sinn, daß ich bei meinem überstürzten
Aufbruch heute morgen ein ziemliches Chaos hinterlassen hatte. Dann fiel mir
ein, daß es ja Donnerstag war, der Tag, an dem Marie-Thérèse kam, um die
Wohnung zu putzen. Dann fiel mir ein, daß ich in der Hektik vergessen hatte,
ihr das Geld hinzulegen. Und dann fiel mir noch etwas ein.
    Ich sprang auf und stürzte ins Bad. Der Geruch von grünem Apfel
schlug mir entgegen, und mir wurde leicht schlecht. Leider ist es mir in all
den Jahren nicht gelungen, Marie-Thérèse ihren Lieblings-WC-Reiniger
auszureden. Ich bückte mich und zog den kleinen Abfallkorb unter dem
Waschbecken hervor. Er war leer.
    Ich stand auf

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