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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Barreau
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etwas zu ihrer Freundin,
und ein gleißender Sonnenstrahl streifte für einen Augenblick ihre mädchenhafte
Gestalt. Das Licht verfing sich in ihren auffliegenden seidigen Haaren und
schien direkt durch sie hindurchzufallen, und mir stockte der Atem.
    Die Zeit stand still, nein, sie lief rückwärts, sie flog dem blauen
Meer entgegen, flog durch Jahre, Monate, Tage bis hin zu jenem
sonnendurchfluteten Moment, als ein dummer fünfzehnjähriger Junge sich in das
schönste Mädchen der Klasse verliebte.
    Ich starrte auf das Gleis, mein Herz fing an zu klopfen, dann gab es
einen Riß im Bild. Unwillig schüttelte ich den Kopf.
    Ein Schaffner schob sich vor die beiden Frauen und half einem
älteren Herrn, sein Gepäck einzuladen, die Zurückbleibenden drängten sich an
die Fenster. Dann ertönte das Abfahrtssignal, die Türen schlossen sich
automatisch, und der Zug setzte sich in Bewegung.
    Die beiden Frauen waren verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.
    Und doch war ich mir sicher, daß ich eben, für den Bruchteil
einer Sekunde, Lucille gesehen hatte.
    Â»Nicht wahr, Jean-Luc? – Jean-Luc?! Was ist? Sie sehen aus, als
hätten Sie gerade eine Erscheinung gehabt.«
    Jane
blickte mich fragend an. Wie lange hatte ich schon so aus dem Fenster gestarrt?
Egal.
    Â»Pardon.« Ich legte meine Serviette neben den Teller und stand
hastig auf. »Entschuldigung. Würden Sie mich einen Moment entschuldigen? Ich
bin gleich wieder da. Ich muß … Ich habe … Da war jemand auf dem Bahnsteig …
Bin sofort wieder da!« Ich lächelte und kam mir selbst ein wenig irre vor.
    Unter den erstaunten Blicken von Jane und Janet schritt ich
schnellen Schrittes zum Ausgang. Cézanne, der die ganze Zeit geduldig unter dem
Tisch gewartet hatte, lief bellend hinter mir her, seine Leine schleifte über
den Boden.
    Rasch nahm ich sie auf und stürmte mit meinem Hund die Treppe des
Restaurants hinunter. Cézanne schnüffelte kurz an einer der beiden angeketteten
kleinen Palmen, die am Fuß der Treppe in Terracotta-Kübeln standen.
    Â»Cézanne, jetzt komm!« rief ich und zerrte ungeduldig an der Leine.
Cézanne machte einen Satz und jaulte auf. Nun hatte sich der blöde Hund in der
Stahlkette verfangen, und ich konnte ziehen, soviel ich wollte. So kam ich hier
nicht weg.
    Â»Du bleibst jetzt hier sitzen, Cézanne! Sitz! Hörst du!«
    Cézanne winselte und legte sich unter die Palme.
    Â»Ich bin sofort wieder da. Sitz!« befahl ich noch einmal, bevor ich
weiterlief. Ich drängte mich durch die Menschen durch, die ihre Koffer hinter
sich herzogen und offenbar alle Zeit der Welt hatten. Ich hatte keine Zeit. Ich
war auf der Jagd nach einer Principessa.
    An Gleis drei stoppte ich kurz ab und sah mich suchend um. Links,
rechts, geradeaus – wo war die Frau mit den silberblonden Feenhaaren, die mich
so sehr an Lucille erinnert hatte?
    Ich lief noch einmal das ganze Gleis ab, spähte auf die
gegenüberliegenden Bahnsteige und kehrte schließlich enttäuscht zurück.
    Eine alte Dame ohne Gepäck wackelte mir entgegen und sah mich
mitleidig aus ihren hellen blauen Augen an. » Vous êtes trop
tard, Sie kommen zu spät, junger Mann, der Zug nach Nizza ist schon
abgefahren«, erklärte sie und schüttelte den Kopf. »Ich habe gerade meine
Tochter weggebracht.«
    Ich preßte die Lippen zusammen und nickte bitter. » Trop tard! «
    In der Tat war ich zu spät gekommen. Und wieder stand ich mit leeren
Händen da und mit einem Haufen Fragen.
    Konnte es wirklich Lucille gewesen sein, die ich eben gesehen hatte?
Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, daß ein Mädchen mit dreißig Jahren
Verspätung ihre Liebe zu einem Jungen entdeckte, den sie einst verschmäht hatte
und den sie nun mit Principessa-Briefen überhäufte?
    Eher lernte ein Frosch Französisch.
    Das einzige, was an diesem Sonntag wirklich sicher war, war die
Tatsache, daß zur Mittagszeit ein Zug nach Nizza abgefahren war.
    Und die Tatsache, daß Hercule Poirots Ermittlungen im Fall
Principessa nicht sehr weit gediehen waren.
    Hätte Hercule Poirot besser aufgepaßt,
wäre ihm nicht entgangen, daß eine junge Frau im Sommerkleid ihn einen Moment
lang lächelnd vom Ende der Halle aus betrachtete, bevor sie still aus dem
Bahnhof schlüpfte.
    Nun war auch noch Cézanne verschwunden!
    Fassungslos
starrte ich auf die leere

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