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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Barreau
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Schatten einer weißen Markise
saß und zweifellos voll in seinem Element war.
    Â» Salut, Jean-Luc! Was für eine schöne Überraschung!«
Aristide Mercier begrüßte mich mit dem mir so vertrauten Überschwang. »Komm,
setz dich zu uns!«
    Ich lächelte und trat an den kleinen runden Tisch, auf dem einige
leere Gläser und Tassen standen. »Die Freude ist ganz meinerseits, aber ich
will nicht stören.«
    Â»Aber nein, aber nein, du störst
doch nicht, keineswegs.« Aristide sprang auf, um mir einen Stuhl zurechtzurücken.
»Hier, nimm Platz in unserer bescheidenen Runde und verleihe ihr den fehlenden
Glanz. – Mes amis  …«, der Professor breitete pathetisch die Arme aus, »das ist mein
Freund, Jean-Luc Champollion, genannt ›Der Duc‹.«
    Die Studenten lachten und riefen »Oh, oh!«, einige klatschten.
    Ich ließ mich grinsend auf dem Stuhl nieder und bestellte einen
Kaffee.
    Während ich zuhörte, wie Aristide sich in seiner altmodischen, etwas
manierierten Art in euphorischen Worten über »den besten Galeristen von
Saint-Germain und dessen berühmten Vorfahren« erging, einem Mann von erlesenem
Geschmack und gefääährlichem Charme (hier zwinkerte mir Aristide zu), kam mir
ein Verdacht.
    Eine Idee, die so absurd war, daß ich mich im nachhinein noch für
sie schäme. Doch an jenem Sonntag, man möge mir bitte verzeihen, war ich in
einem Zustand, wo mir alles möglich erschien.
    Ich hatte eine spezielle Art von Verfolgungswahn entwickelt. Nur daß
nicht ich mich verfolgt fühlte, sondern selbst der Verfolger war.
    Mittlerweile verdächtigte ich
jeden. Und für eine Viertelstunde sogar meinen alten Freund Aristide Mercier.
    Was, wenn dieser mich an der Nase herumführte? Seine höfliche
Altmodischheit, sein literaturwissenschaftlicher Hintergrund, seine mit
selbstironischem Bedauern zur Schau gestellte Sympathie für mich, den ewig
Verlorenen – paßten all diese Dinge nicht perfekt zu der Art und Weise, in der
die Briefe verfaßt waren?
    Mit größter Selbstverständlichkeit war ich davon ausgegangen, daß
eine Frau – die Principessa! – mir diese wunderbaren, von Geist, Witz und Liebe
inspirierten Briefe schrieb. Aber wer sagte mir, daß dies nicht auch nur eine
Finte war?
    Aufgewühlt von diesen neuen
ungeheuerlichen Gedanken rührte ich in meinem Kaffee und ließ
Aristide-den-Principe nicht mehr aus den Augen, der mein neu entfachtes,
hochkonzentriertes Interesse sicherlich seinem brillanten Vortrag über
Baudelaires »Fleurs du Mal« zuschrieb.
    Einige graue Wolken hatten sich
vor die Sonne geschoben. Der Himmel verdunkelte sich, ein Windstoß wirbelte die
Asche in den vollen Aschenbechern auf, ein Student nach dem anderen
verabschiedete sich, und schließlich saßen nur noch Aristide und ich an dem
runden Tisch des Cafés, wenn man von Cézanne mal absieht, der mit seinem ganzen
Gewicht auf meinen Füßen ruhte.
    Â»Nun, mein lieber Jean-Duc, wie ist das Leben?« sagte Aristide
freundlich. Das war der Moment, in dem ich mich völlig lächerlich machte.
    Â»Nun, das Leben ist derzeit etwas sonderbar«, bemerkte ich und sah
den verdutzten Aristide durchdringend an. »Schreibst du mir diese
Principessa-Briefe?« fragte ich ohne Umschweife.
    Aristide sah mich an, als wäre E.T. höchstpersönlich vor ihm
gelandet.
    Â»Principessa-Briefe?« sagte er. »Was für Principessa-Briefe?«
    Â»Du schreibst mir also keine Briefe, die mit ›Lieber Duc‹ anfangen
und mit ›Ihre Principessa‹ aufhören?« setzte ich nach. »Aristide, ich warne
dich, wenn das einer von deinen intellektuellen Streichen ist, finde ich ihn
nicht besonders lustig.«
    Â»Mein armer Freund, du scheinst
mir etwas verwirrt.«
    Aristide holte mich mit Lichtgeschwindigkeit auf den Boden der
Realität zurück und rückte meine Behauptung in die Ferne galaktischer
Unvorstellbarkeit.
    Â»Ist alles in Ordnung mit dir, Jean-Luc?«
    Hatte ich diesen Satz heute nicht schon einmal gehört?
    Â»Ich verstehe wirklich nicht,
wovon du redest und wessen du mich hier beschuldigst«, fuhr Aristide beleidigt
fort. »Vielleicht besitzt du die Güte, es mir zu erklären?«
    Ich starrte den ahnungslosen Aristide an und wurde dunkelrot.
    Â»Ach, vergiß es«, sagte ich. »Ein Mißverständnis.«
    Â»Nein, nein,

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