Du findest mich am Ende der Welt
Paar
abgegeben.
Bei einer Flasche Veuve Cliquot
rätselten wir ein wenig weiter herum, und dann wurde ich auch schon wieder
unruhig, weil ich an meine Wundermaschine wollte, um Briefe zu lesen oder zu
schreiben. An manchen Tagen lief ich sogar zwischendurch von der Galerie wieder
in die Rue des Canettes, um nachzuschauen, ob eine Post für mich gekommen war,
und Marion stemmte die Hände in ihre schlanke Taille und sah mir kopfschüttelnd
nach.
»Du hast abgenommen, Jean-Luc, du muÃt essen«, sagte Aristide
augenzwinkernd, als er mir an seinem Jeudi fixe das
dritte Stück Tarte tatin auf den Teller legte. »Du wirst deine Kräfte noch
brauchen.«
Die anderen Gäste lachten, ohne genau zu wissen, warum. Wie immer
herrschte eine inspirierte, ausgelassene Stimmung bei Tisch, aber ich muÃ
zugeben, daà es mich doch ein wenig überraschte, als ich mitbekam, daà Soleil
Chabon und Julien dâOvideo noch vor dem Dessert ihre Handynummern austauschten
und sich ein wenig zu tief in die Augen schauten.
Ich gebe zu, daà ich einen klitzekleinen Stich verspürte, aber
wirklich nur einen kleinen, als ich den beiden jungen Menschen nachsah, die als
letzte lachend und schwatzend nebeneinander die Treppe im Hausflur
hinuntergingen, und mir dabei überlegte, ob Soleil nun wieder in die Produktion
von Brotmännchen einstieg.
Doch dann half ich Aristide beim
Abwasch und kehrte zu meinem Lieblingsthema zurück. Mit einer gewissen Scheu
überreichte ich meinem literarisch gebildeten Freund die Briefe der
Principessa, wobei ich zugebe, daà ich einige besonders pikante Schriftstücke
unterschlug. Der Briefwechsel mit der Principessa hatte schon lange den Weg des
Schicklichen verlassen, wenngleich wir uns auch über andere Dinge austauschten,
die bisweilen sehr kurzweilig und amüsant und manchmal auch sehr persönlich
waren, aber von seiten der Principessa leider niemals so eindeutig, daà ich,
ein gewöhnlicher Sterblicher, daraus hätte irgendwelche Schlüsse ziehen können.
In einer jener schlaflosen Nächte hatten wir auch über »erste
Lieben« gesprochen, und ich hatte meinem Herzen einen Ruck gegeben und der
Principessa in allen Einzelheiten jene unglückselige Geschichte geschildert,
die nicht einmal meine besten Freunde kannten. Wenn Lucille doch die
Principessa war â eine Option, die immer noch im hintersten Winkel meines
überspannten Hirns schlummerte, auch wenn ich dies Bruno gegenüber nicht mehr
erwähnt hatte, weil ich nicht wieder mit ihm streiten wollte â, würde sie, so dachte ich, nun endlich wissen,
was damals wirklich passiert war. Aber wer immer auch die Frau war, der ich
mein Geständnis machte, sie reagierte äuÃerst mitfühlend.
Kein Liebesbrief wurde je umsonst
geschrieben, lieber Duc, auch der Ihre nicht ,
schrieb die Principessa. Ich bin mir sicher, daà Ihre
kleine herzlose Freundin von damals die Sache heute mit ganz anderen Augen
sieht. Bestimmt war dieser Brief der erste Liebesbrief, den sie je erhalten
hat, und Sie können sicher sein, daà sie ihn heute noch hat â egal, ob sie
inzwischen selbst verheiratet ist oder nicht â und ihn manchmal mit einem
leisen Lächeln aus einer kleinen Schachtel hervorzieht wie einen Schatz und
dann an den Jungen denkt, mit dem sie das beste Eis ihres Lebens gegessen hat.
Auch diesen Brief hatte ich Aristide vorenthalten,
wenngleich er keine erotischen Bekenntnisse enthielt. Die Worte meiner
unbekannten Brieffreundin, die ich mittlerweile so gut kannte wie die Bilder in
meiner Galerie, hatten mich zutiefst berührt und mich merkwürdigerweise mit dem
Verrat, der sich vor vielen Jahren an einem nach Mimosen duftenden, staubigen
Feldweg zugetragen hatte, ausgesöhnt.
Aristide
versprach, sich die Briefe anzusehen und mir Bescheid zu geben, sobald er etwas
Auffälliges entdeckte. Er versprach, auch zur Ausstellungseröffnung zu kommen,
und so verabschiedete ich mich zu vorgerückter Stunde und eilte mit Cézanne
nach Hause, einem weiteren postalischen Rendezvous entgegen.
Madame Vernier war für vierzehn
Tage auf ihren Sommersitz in die Provençe gereist, und so war der treue Cézanne
bei allem, was ich tat, stets an meiner Seite. Er war auch derjenige, mit dem
ich am meisten über die Principessa sprach, wenn ich Abend für Abend, Nacht für
Nacht meine Briefe schrieb, Sätze vor mich hinmurmelte, zwischen
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