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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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im Hinterkopf sein –, der hier seine unsterbliche Lenore ersann , eine Gelegenheit, sich auch Großvater Christian Hieronymus Esmarchs zu erinnern, des Pastorensohns aus Böel in Angeln, der zu den Voß, Hölty und wie sie alle hießen gehörte. Fast vergisst man bei alledem die Hauptperson: die schwangere Constanze. Sie, die eigentlich diesen Brief an ihre Eltern fortsetzen sollte, ist durch ihre vier Rangen so hingenommen , dass Storm ihn zu Ende schreiben muss.
    Nicht nur die Kinder kosten Kraft, auch der Erntesegen des Herbstes muss mit eigener Hand verarbeitet werden und winterfest vom Küchentisch in die Vorratskammer: Mus einkochen; Äpfel und Birnen schälen, stückeln und beim Bäcker trocknen lassen; es kommen Kartoffeln in Körben, getrocknete Kirschen in Säcken und ein Achtel Ohm Obstessig von Birnen, das sind gut siebzehn Liter. Bucheckern im Wald sammeln, das, so erfährt Storm nebenbei von Freund Schlüter, schicke sich allerdings nicht für Leute höheren Ranges, man greife dadurch den armen Leuten in ihr Recht . Die armen Leute kommen nämlich mit den Bucheckern an die Haustür der Reichen, um sie zu verkaufen. Und zu den Reichen von Heiligenstadt zählen auch die »Kreisrichters«.
    Unter der Überschrift »Lieben Mütter« schildert Storm der Husumer und der Segeberger Mutter das Familienleben in Heiligenstadt. Er malt es in bunten Farben und beiden soll eine heile, heitere Welt vorgeführt werden. Aber die Bitte um Unterstützung am Ende des Briefes, Constanzes jüngere Schwester Sophie (1836–?), auch »Phite« genannt, möge zur Aushilfe nach Heiligenstadt kommen, zeigt dann doch Storms besorgte Einschätzung der Lage, und Sophie kommt von Segeberg nach Heiligenstadt. Constanze hat Schmerzen, sie befürchtet Krebs an der Mutter [Gebärmutter] , leidet weiter unter ihren Blutungen. Die Schwangerschaft will nicht so voran wie sonst. Ende November erkennt der Hausarzt Dr. Rinke eine Mola, eine schwerwiegende Störung der Embryonalentwicklung, die mit einer Fehlgeburt am 12. Dezember endet.
    Storm arbeitet in diesem Herbst an seiner Novelle »Auf dem Staatshof«; er richtet seine Aufmerksamkeit neben seinem Richteralltag ganz auf die künstlerische Arbeit. Der Beistand, den er Constanze gewähren kann, fällt mager aus, und Schwägerin Sophie, die gekommen ist, um Constanze zu unterstützen, nimmt er selber in Anspruch: Theodor ist auch seit einigen Wochen ganz todt für uns, entweder er dichtet oder er decretiert, dann nimmt er auch noch Sophie, die ihm höchst saubere Manuskripte anfertigen muß . Zu gleicher Zeit schreibt Constanze an ihre Mutter nach Segeberg: Theodor und Sophie sind jetzt eifrigst beschäftigt Novellen zu schreiben bzw. Theodor macht sie und Sophie schreibt sie zu Theodors Entzücken aufs reizendste ab. Ich beneide sie ordentlich um ihre hübsche Handschrift .
    In der Familie grassieren kurz vor Weihnachten die Masern, Storm schreibt nach Segeberg und singt ein Loblied auf Sophie, sie sei ein so gutes und verständiges Mädchen; wer mit ihr nicht auskommt, ist gewiß selber schuld. Er betont Sophies Intelligenz und ihr starkes Interesse für alle geistige Nahrung. Die Zusammenarbeit scheint doppelt fruchtbar gewesen zu sein, denn nachdem Storm geglaubt hatte, bei ihm sei in künstlerischer Hinsicht nichts mehr zu holen, meint er nun: Jetzt scheint‘s noch einmal wieder zu fließen . Storm fühlt sich vom Leben gehoben, Constanze fühlt sich davon betrogen, sie ist eifersüchtig, denn Theodor liebt das junge Blut , hat sie schon in einem Brief aus Potsdamer Zeiten an ihre Schwiegermutter geschrieben.

Auf dem Staatshof: Anne Lene, die Unerreichbare
    Junges Blut, das ist auch die Hauptdarstellerin dieser Novelle: Anne Lene. Es ginge nicht mit rechten Storm-Dingen zu, wenn nicht Sophie Esmarch, Storms treue Kopistin, leibhaftige Gegenwart und weiblicher Geist beim literarischen Schaffen, einen Tropfen junges Blut für die Hauptgestalt der Novelle »Auf dem Staatshof« gespendet hätte: für Anne Lene.
    Anne Lene ist das letzte Glied einer reichen Bauernfamilie; sie ist Erbin eines großen Besitzes, des »Staatshofs«, eines »Haubargs«, wie er in Storms Heimat südlich von Husum und im Eiderstädtischen verbreitet war. Heute sieht man den »Haubarg« noch als ferne Erinnerung eines einst stolzen Bauerntums, das schon im Niedergang ist zu der Zeit, die Storm für seine Novelle wählt; es ist die Zeit nach den Napoleonischen Kriegen, Storms Kinder- und Jugendzeit.
    Nach acht

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