Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Dorf Bischhagen wurde das Rechtsbewußtsein von der Naturfreude ganz überwachsen; in dem klaren Herbstnachmittage lag die etwa 9 Meilen entfernte Gebirgskette des Harzes so wundervoll blau und duftig, und doch so greifbar nahe vor uns, daß ich den Turm auf dem Brocken mit bloßen Augen erkennen konnte .
Die Rechtspflege auf dem Lande erbringt nicht nur neues Wissen über Beleidigung, Körperverletzung, Unterschlagung, Lug und Trug, sondern bietet Kreisrichter Storm die Möglichkeit, Familie und Natur um sich zu haben, vor allem aber kann er seine Erlebnisse in schönste Prosa ummünzen. Wenn immer möglich, strebt er an Ort und Stelle einen Vergleich mit den streitenden Parteien an, manchmal ist das mühsam, wie in Wüstheuterode: Aber es gelang mir schließlich zwei langwierige Processe durch Vergleich zu schlichten . Manchmal mühelos, wie in Uder: Ich hatte eine glückliche Hand, und ich verglich die Leute . So kürzt er das Verfahren ab, so gewinnt er wertvolle Zeit und erspart sich Arbeit. Der Vergleich bedeutet aber noch mehr für den Dichter, für ihn ist er die Literarisierung der richterlichen Praxis.
Storm ist durch seine Prosa und Lyrik ein Mann des Erzählens. Auf den juristischen Vergleich bezogen heißt Erzählen nicht nur Abkürzung des Verfahrens, also Ersparnis von Zeit und Arbeit, sondern es ist die Abkehr vom kodifizierten Gang der juristischen Gegenstände und gleichzeitig die Hinwendung zum Menschlich-Praktischen und Anarchisch-Literarischen. Storms Neugier und Wachheit ist damit frisches Futter gegeben. Soll der Vergleich erfolgreich sein, dann sind Phantasie und Sprache, Einfühlungsvermögen und Hartnäckigkeit des Richters gefordert. Auch mit seinem Charme und seinen blauen Augen ist Storm der richtige Mann für den Vergleich. Durch den lernt er verschiedenste Facetten menschlichen Ausdrucks kennen, kann sie im Speicher seiner Dichterseele ablegen, um sie, wenn sie gerufen werden oder sich von selber melden, in Poesie zu verwandeln.
Constanze: Freue Dich, ich komme nicht doppelt nach Haus
Am 2. Juli 1858 reisen Constanze und Sophie mit den Kindern Lisbeth und Karl nach Segeberg; Constanzes erster Besuch zu Hause seit ihrer Ankunft in Heiligenstadt. Sie muß notwendig einmal heraus , hatte Storm schon seinen Eltern geschrieben. Hans, der Älteste, konnte mit jüdischen Pferdehändlern, ehrenwerten und allgemein geachteten Leuten, schon Ende Mai nach Husum zu den Großeltern reisen; er soll für seine anfällige Gesundheit Seeluft schnuppern. Theodor hält, zusammen mit Sohn Ernst, in Heiligenstadt die Stellung. Schlecht äußert er sich nun über Sophie. Er bedauere, so schreibt er an Constanze, dass sie überhaupt dagewesen, lieber wäre ihm Constanzes Schwester Lotte gewesen, und er spricht von ihrem kleinen schmutzigen Egoismus . Das scheint eine Stormsche Stimmungs-Entgleisung zu sein, denn nach dem Lob ihrer treuen Kopierdienste steht noch ein halbes Jahr später an seinen Schwiegervater geschrieben, Sophie habe Constanze mit der Nadel und mit dem Kochlöffel wacker zur Seite gestanden .
Die Heimatluft macht Appetit, daß ich kaum mehr in meine Kleider hinein kann, schreibt Constanze aus Segeberg, und Theodor mahnt: Aber, meine süße Frau, werde mir nicht gar zu dick. Die Wohnung in Heiligenstadt scheint für Constanze ein Alptraum zu sein; sie schreibt von Gefängnis , Kerker und abscheulichem Loch . Theodor hält dagegen: Vor unserer Wohnung brauchst Du Dich gar nicht zu grauen; sie ist bei diesem milden Wetter […] ganz freundlich und angenehm .
Dieser Urlaub von verhasster Wohnung und Heiligenstadt-Stress bedeutet vor allem für Constanze eine Sorge weniger: Sie muss keine neue Schwangerschaft befürchten, denn ich habe jetzt schon, nach drei Wochen wieder meine Regeln bekommen, also freue dich, ich komme nicht doppelt nach Haus .
Im August kehrt Constanze an Leib und Seele gestärkt zurück. Bald ist sie jedoch wieder schwanger, und Storm berichtet von einer Fehlgeburt Ende des Jahres nach Segeberg. Constanze schreibt im Weihnachtsbrief an ihre Schwiegermutter: Mir geht es seit einigen Tagen, Gott Lob wieder sehr gut, wie mir augenblicklich scheint besser wie in langer Zeit; es scheint, als solle ich kein lebendiges Kind mehr zur Welt bringen; wir haben ja auch im Grunde genug an unseren vier Kindern . Wirklich rasch erholt, wie Theodor meint, und sehr gutes Befinden, wie Constanze schreibt? Hausarzt Dr. Rinke verordnet Sitzbäder.
Als Constanze im Februar 1860 von einer
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