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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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noch den intimsten Verkehr mit der Wussowschen Familie, schreibt Constanze an Laura Brinkmann.
    Es geht nicht ohne Reibereien. Als bekannt wird, dass Storm an seiner Novelle »Das Schloß« arbeitet, bittet ihn »Tante Anna«, Wussows Frau, er möge doch nichts gegen den Adel schreiben. Storm macht keinen Hehl aus seiner Meinung und lässt Anna von Wussow wissen, daß zu meinen tiefsten Überzeugungen gehören, »Adel und Kirche seien die zwei wichtigsten Hemmnisse einer durchgreifenden sittlichen Entwicklung unserer, sowie anderer Völker.« Darauf erwidert Anna: » Nä, Storm, ich kann mir nicht helfen, ich halte das für eine entschiedene Schwäche von Ihnen« .
    Storm pflegt auf dem gesellschaftlichen Parkett die Goldenen Rücksichtslosigkeiten , die er auch seinen Söhnen predigt. Das gefällt den Wussows. Der Landrat behält, Überspanntheit hin, Rührseligkeit her, das Herz auf dem rechten Fleck, Frau Landrat ist nicht nachtragend, sie bleibt die fabelhafte Köchin und vorzügliche Gastgeberin, und die Kinder sind und bleiben ebenso gern gesehene Gäste wie die Erwachsenen. Aber Storm beharrt treu und fest auf seiner Meinung, die er zwei Jahre später noch einmal gegenüber Freund Brinkmann bekräftigt: Ich sage Dir, der Adel (wie die Kirche) ist das Gift in den Adern der Nation . Diese entschiedene Haltung finden wir später wieder in seinen Novellen. In »Aquis submersus« (1876) lässt Storm den Maler Johannes so reden: »Junker Wulf«, sagte ich, »es ist wahr, ich bin kein Edelmann; aber ich bin kein geringer Mann in meiner Kunst«.
    Storm taxiert Wussow: viel Gemüth, doch kein Charakter . Gemütsmensch, das stimmt. Kein Charakter, das trifft nicht. Richtig ist Storms Einschätzung des Kreises um Wussow als pechschwarz und reactionär . Wussow seinerseits nennt Storm einen »Demokraten«, damals durchaus ein Schimpfwort. Storm sieht sich selber im liberalen Lager, und Wussows »Demokrat« mag seinen Grund haben in Storms einfühlsamer Erzählbegabung, die den Frauen so gut gefällt. Aber Demokrat ist Storm weder aus damaliger noch aus heutiger Sicht. Ablehnung von Kirche, Adel und verrottetem Junkertum hat er nicht aus demokratischer Überzeugung entwickelt, sondern: Das eigensinnige Selbstbewusstsein seines Dickschädels weist diese drei Sinnbilder für Obrigkeit ab, und jedes Ausgleichsdenken, welches das Wesen der Demokratie ist, wird gleich mit abgewiesen. Da ist Storm der Friesenspruch, »Lewer duad üs Slaw (Lieber tot als Sklave)«, der trotzig-entschlossene, unmissverständliche Ruf nach Freiheit, Richtschnur seines Denkens und Handelns – und seines Schreibens.
    Das Singkränzchen, das Storm im Frühjahr 1859 gründet, bietet ihm sein drittes gesellschaftliches Standbein. Storm und sein Chor sind für Heiligenstadt eine kulturelle Bereicherung. Und er kann seiner musikalischen Begabung nachgehen, seinen Tenor schulen und vorführen, er kann seinen Chor dirigieren. Die Stimmen, besonders die von Sopran und Alt, hängen dann
an seinem Dirigentenstab und sehen ihm nebenbei in die viel gerühmten blauen Augen.
    Er bleibt dabei: kein Männergesangverein, keine Liedertafel, kein politischer Gesang. Fünfzig bis siebzig Stimmen singen im Chor. Die Musik ist ihm das Mittel, sich gehörig und hörbar von der Politik abzugrenzen. Wie schon in Husum, setzt sich Storm ehrgeizige Ziele, und sein Chor soll ein anspruchsvolles Programm vorsingen. Außer dem dänischen Komponisten Niels Wilhelm Gade werden Ferdinand Hiller, Felix Mendelssohn, Wolfgang Amadeus Mozart, Robert Schumann, Carl Maria von Weber aufgeführt, auch Storms zwanzig Jahre jüngerer Verwandter aus Hamburg, der Bankkaufmann und Komponist Ludwig Scherff (1837–?), steht mit auf dem Programm. Storm singt Solopartien aus der »Zauberflöte« und sein Glanzstück, die Arie des Max aus dem »Freischütz«. Auch Freund Wussow, mein alter Gemüthsmensch, lässt sich von Storms Musik-Kunst hinreißen und war so ergriffen, daß er nachher zu seiner Sammlung erst einen einsamen Spaziergang machen musste, schreibt Storm an die Eltern.
    Mit dem Musizieren, dem Organisieren und Einstudieren des Chorgesanges kann Storm sich stärken, mit der Anerkennung, die er erfährt, lässt er seine Seele streicheln. Dieß Musiktreiben ist für mich die wahre Erquickung und Bereicherung meines Lebens; und ich bin dir dabei fortwährend für das Geschenk des soliden Forte pianos dankbar, ohne welches es nicht möglich wäre , schreibt er seinem Vater am 14. März

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