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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Versmaß auf sich hat. Im Oktober 1845 schickte der Dichter seine mit »Herbstlied« betitelten Verse an Constanze. Die beiden ersten sind geflügelte Worte geworden: Schon ins Land der Pyramiden / Flohn die Störche übers Meer …
    Mit vier Jahren kam ich in eine Klippschule , erzählt Storm in seinen Erinnerungen »Aus der Jugendzeit«. In den Klippschulen ging es »klipp und klar« zu. Die Lehrer wurden ohne Fachausbildung auf die Kinder losgelassen. Und trotzdem schickten Eltern ihre Kinder auf diese behördlich nicht anerkannten, privat organisierten Schulen – und zahlten dafür noch Schulgeld. Dass die Klippschullehrer Grundkenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen
per Auswendiglernen und Prügelstrafe vermittelten, wurde von den Eltern akzeptiert. Beides gehörte zum pädagogischen Pensum. Als Storm mit vier Jahren zu Mutter Amberg in die Klippschule kam, empfand er zunächst große Abneigung gegen sie. Johann Casimirs Schreiber gab darum folgenden Rat: Er sollte nur tüchtig schreien , und das tat Theodor. » Pfui«, sagte die alte Hamburger Dame, »Schrei nicht so. Das tun ja die Ochs und Eslein in dem Stalle «. Storm scheint es bei Mutter Amberg gut ergangen zu sein. Er nannte sie allerdings nicht »Mutter Amberg« wie seine Mitklippschüler, sondern »Madame Amberg«. Das spricht für einen ins Vornehme gehobenen Umgangston im Hause Storm, und den ließ auch Mutter Amberg sich wohlgefallen. Von Prügelstrafen erzählt Storm nichts. Was er dort gelernt hat, liegt im Klippschul-Dunkel. Seltsam und erstaunlich ist das Resümee, das der Dichter aus der Distanz von gut fünfzig Jahren über seine Klippschulzeit zieht: Das war der Beginn meiner literarischen Bildung.
    Fünf Jahre lang lernte Storm bei seiner Madame Amberg, Ostern 1826 wurde Storm – Klippschule hin, Klippschule her – mit neun Jahren in die Quarta der Husumer Gelehrtenschule aufgenommen.
    Von Storms Elternhaus in der Hohlen Gasse war die Schule in zehn Minuten zu Fuß zu erreichen, sie lag in der Nähe der alten Marienkirche. Die hat Storm in seinen jungen Jahren nie gesehen. Vielleicht sah er noch Trümmer und Mauerreste, wenn er zur Schule ging, zunächst den spannenden Weg an der Schiffbrücke entlang, vorbei an Schiffen, Werft und Hafen, dann durch die Krämerstraße bis zum Marktplatz, wo die Marienkirche einst gestanden hatte. Die Husumer ließen den alten gotischen Backsteinbau mit dem hohen Turm im Jahre 1807 abbrechen; das schwärzeste Jahr der Husumer Kirchengeschichte, so heißt es in einem Faltblatt. Wertvolles »Tafelsilber« wurde verhökert, Kunstschätze gingen verloren: Verschleudert und verschwunden , Storms letzte drei Worte in seiner Novelle »Aquis Submersus«. Immer wieder hat er von der Kirche erzählt und Hohn und Spott über den Husumer Kirchenstreich ausgegossen. Hohn und Spott hatte er auch übrig für die neue, im klassizistischen Stil erbaute Marienkirche: An Stelle des altehrwürdigen Baues stand nun ein gelbes Kaninchenhaus mit zwei Reihen viereckiger Fenster, einem Turm wie eine Pfefferbüchse und einem abscheulichen, von einem abgängigen Pastor verfaßten Reimspruch über dem Eingangstore, einem lebendigen Protest gegen alles Heidentum der Poesie . Was dem Dichter gegen den poetischen Strich ging, lautete so: Dies ist Gottes Haus, tritt ein! Andachtsvoll doch mußt Du sein!

Zwischen Schauder und Behagen: Geschichten
    Dem jungen Dichter, der als Zwölfjähriger in tief brüderlicher Trauer Verse auf seine 1829 verstorbene Schwester Lucie schreibt, ist der Hunger nach Geschichten kaum zu stillen. Ein Mensch aber kann das: Lena Wies, um die dreißig, die ältere Schwester seines Kindermädchens Katharina. Wann der junge Storm sie zum ersten Mal in der nahebei gelegenen Langenharmstraße besuchte, liegt im Dunkeln. Storm mag zehn Jahre alt gewesen sein, gerade war er Gelehrtenschüler geworden. Bäckerei und Milchhandel, damit verdiente Familie Wies ihr Geld. Lenas Stiefvater und sie selber besorgten Vieh und Melken, Lenas Mutter arbeitete am Backtrog. Wenn es im Herbst und Winter abends schon dunkel war, wenn die Bratäpfel in der Stube dufteten und die Heimchen in ihren Verstecken sangen, wenn Mutter Wies am Spinnrad saß und Vater Wies im Lehnstuhl, dann erzählte Lena auf Plattdeutsch, in andachtsvoller Feierlichkeit , wie Storm in den Erinnerungen an diese Frau schreibt. In ihren Erzählungen tauchte, wie Storm meinte, auch die Sage von dem gespenstischen Schimmelreiter auf. Anscheinend verbreitete Lena

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