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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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wieder im Blatt aufgeben musste. Ob die Eltern den öffentlichen Auftritt ihres Sohnes kommentierten?
    Sängers Abendlied
    Meiner Leier frohe Töne schweigen
Bald in stille Todesnacht gehüllt;
Dort, wo sich die Zweige trauernd neigen,
Find ich Ruh; mein Sehnen ist gestillt.
    Wenn des Lebens zarte Fäden reißen,
Streut Zypressen auf des Sängers Grab,
Singt noch einmal mir die alten Weisen,
Senkt mir meine Leier mit hinab.
    Dort entfliehen eitle Erdensorgen,
Unsre Seele strebt dem Höhern nach. –
Sieh’ es dämmert schon der Morgen,
Doch mein Morgen ist erst jenseits wach.
    Wenn auch Storm, der Dichter des 19. Jahrhunderts, hier mit epigonalen Begriffen und Blicken arbeitet und in die Dichter-Mottenkiste des 18. Jahrhunderts greift – Sänger und Leier, Zypresse und Grab – und mit eitle Erdensorgen Barockes hervorholt, so ist das Gedicht doch handwerklich einwandfrei gearbeitet. Als sei hier etwas im Handumdrehen, mit großer Erfahrung und Könnerschaft, mit Leichtigkeit und wie auf Zuruf geschaffen worden. Es ist aber nicht das Auffällige und Eigene, was hier gültig und dauerhaft ins Auge fällt. Es ist vor allem das für Storm im Laufe der Jahre wichtiger werdende Todesmotiv, das der Dichter hier – schon wieder – berührt. Es klang bereits an in den ersten, dem Tode seiner Schwester Lucie folgenden Versen und wurde dann, zusammen mit dem Liebesmotiv, zu den beiden entscheidenden Dichtungs- und Lebensmotiven. Beide stehen – ähnlich wie in der Musik Basso ostinato und Cantus firmus – über- und untereinander, wirken neben- und miteinander und sind nicht voneinander zu trennen. Storm hat sie nie auseinandergehen lassen. Doch mein Morgen ist erst jenseits wach – der Dichter spricht im letzten Vers zwar nicht das Wort »Liebe« aus, doch er meint sie hier, und es ist, als widerspreche er mit diesem Vers und mit der unausgesprochenen Liebe allem, was gestern gesagt worden ist, als widerspreche er auch der Dichtung von gestern, als verweise er auf den Standort, der noch von ihm einzunehmen sein wird. Erstaunlich ist nicht nur der Mut des Sechzehnjährigen – der hier nebenbei auch den selbstverliebten Willen des Poeten vorführt –, mit einem Gedicht an die Öffentlichkeit zu treten, erstaunlich ist auch die über jeden Zweifel erhabene Selbstgewissheit und die kraftvolle Lehre von der eigenen dichterischen Mission. Das ist allerdings vorläufig noch mehr Ahnung als Wissen.

Magere Kost für den jungen Poeten
    Storm hatte in späteren Jahren keine gute Meinung von der Husumer Gelehrtenschule. Als ich mit 17 Jahren von der schlechten Husumer Schule nach Lübeck kam, rief mein Freund Röse mir einmal zu: Du bist doch geistig todt! Wach auf! Du denkst nicht! , schrieb er an seine Verlobte Constanze. Ich besuchte die Gelehrtenschule meiner Vaterstadt, wo von deutscher Literatur außer Schiller und den Dichtern des Hainbundes uns nicht viel bekannt war , schrieb er ein Menschenleben später an seine junge Schriftstellerkollegin Ada Christen, und an den Literaturkritiker Emil Kuh: Gelernt habe ich niemals etwas Ordentliches; und auch das Arbeiten an sich habe ich erst als Poet gelernt. Noch auf der Feier seines siebzigsten Geburtstags, neun Monate vor seinem Tod, meinte er: Man sagt von jungen Rossen, dass sie knappes Futter haben müssen, wenn sie werden sollen, was sie können. Gilt das auch von Menschen, so bin ich in der Kunst der Poesie glücklich dran gewesen. Die Gelehrtenschule meiner Vaterstadt wußte nichts von dieser Kunst.
    Fachleute bestätigen Storms Einsichten in die Aufzucht junger Pferde. Er hat oft genug bei seinen Dienst- und Lustfahrten über Land den Pferde- und Pferdeäpfelgeruch in der Nase gehabt und einen Kutscher im Wagen, der ein Berufsleben lang mit Pferden umging, den Storm jede Menge fragen konnte. Wenn also aus jungen Rossen später ordentliche Pferde werden sollen, dann soll man ihnen in der Jugend die Rippen ansehen, dann sollen sie kaum Fett unterm Fell haben. Die Gelehrtenschule in Husum wusste nichts vom Fett unterm Fell, sie hat aber doch, auch gegen die spätere Sicht und aus der Sicht des Pferdekenners Storm, die richtigen Grundlagen gelegt für den Dichter und Juristen, ihm solides Handwerkszeug vermittelt. Die deutsche Literatur kam wenig, die neuere deutsche kam hier überhaupt nicht zum Zug. Storm »verschlang« Schiller in der Stille eines Dachwinkels oder Heubodens , ein Band Goethe-Gedichte kursierte einmal unter uns. Kein Heine und kein Eichendorff, kein

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