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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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zu ihm wanderte er oft über die Heide nach Hattstedt. Wie Tycho Mommsen musste auch Ohlhues seine Heimat verlassen, verlor seine Pfarrstelle in Olderup, 1851 wurde er Prediger in Duisburg in einem ganz orthodoxen Pfarrhause. Abend- und Morgenandachten, wozu das Dienstmädchen hereingerufen wurde, habe ich mit durchgemacht, schreibt Storm . Da wird sich Storm in Geduld und Zurückhaltung geübt haben, und doch kehrt er noch den tief in ihm sitzenden Gerechtigkeitssinn hervor, dazu auch eine Seite seines Wesens, die ihn jenseits aller Ideologie und Verblendung zeigt und ihn ganz mitfühlender Dichter sein lässt: … als der alte Bursche in seinem Gebet sprach: »Ich danke Dir auch, mein Gott, daß Du meinen lieben, alten Jugendfreund ins Haus geführt hast, nimm ihn, Herr, in Deinen Schutz!« da war ich eigentlich ganz entzwei vor Rührung.
    In das »Pilgerbuch«, das Ohlhues als Gästebuch führt, trägt Storm ein paar Verse ein; sie beschreiben die Unterschiede der beiden alten Schulfreunde, aber halten auch das nie vergehende Gemeinsame hoch. Wahrscheinlich hat Storm unter dem Eindruck dieses Besuches auch seine Gott lästernden Verse »Crucifixus« geschrieben, wohl als Entspannungsübung, die Eindrücke aus dem Ohlhuesschen Pfarrhaus abzustreifen und sich selber in der eigenen Glaubenshaltung zu stärken. Das Gedicht entsteht jedenfalls nach der Weiterreise von Duisburg. Mit dem Zug fährt er bis Soest, von Soest weiter mit der Post nach Arnsberg, wo er bei seinem alten Freund Wussow einkehrt. Wussow musste Heiligenstadt verlassen, sehr zu seinem Kummer, nun lebt er als Regierungsrat in der kleinen Sauerland-Stadt. Storm schildert sie als höchst anmuthig; nur schade, daß ich in Folge von Magenverderbnis an Schwindel leide und daher mit unserm gekreuzigten Freund die Weinflaschen nicht zu leeren vermag, die er schon ex intimo angelo [sic] seines Kellers heraufgeschleppt hatte. So schreibt er mit dem scherzhaft schlechten Latein, das etwa für »aus dem tiefsten Winkel« steht, in einem Brief an Pietsch.
    Storm trifft auch Sohn Hans, der sich von Heiligenstadt aus seiner Gärtnerlehre bei Bruder Otto nach Kassel aufgemacht hat. Beide werden über die Rückkehr nach Husum gesprochen haben, über den weiteren Schulbesuch und das kommende Studium. Am Freitag, den 22. September reisen Storm und Hans dann gemeinsam von Kassel nach Göttingen. Dort trennen sich ihre Wege: Hans fährt nach Heiligenstadt, Storm für vier Tage zu Freund Pietsch nach Berlin.
    Baden-Baden ist noch frisch im Gedächtnis, viel gibt es zu erzählen. Nachklang mag ein Beiläufig sein, das Storm in einem Brief an den offensichtlichen Mitwisser Pietsch im Januar 1866 schreibt, eine Bemerkung wie unter Stammtischbrüdern, genießerisch kokettiert er mit dem Adel und kehrt gleichzeitig den Männlichkeitsprotz heraus: Die Bekanntschaft mit meiner Reisegefährtin Mathilde de Condé zu Epinal spinnt sich allerliebst weiter; neulich hat sie mir ihr hübsches Frätzchen mit einem langen französischen Brief geschickt . Ende September kehrt er nach Husum zurück. Das Fäden-Spinnen aber geht weiter.

Wachrufen
    Kinder und Haushalt waren während seiner Abwesenheit in der Obhut der alten Bekannten aus Heiligenstadt, Mary Pyle, der englischen Gesellschafterin bei den Wussows. Sie bleibt noch und sorgt gut für mein kleines mutterloses Kind, das jetzt wohl gedeiht und besonders hübsch zu werden verspricht . Die Engländerin bewährt sich auch in Storms Singverein mit ihrer Altstimme. Er lobt ihre geschickte Hand, mit der sie einmal Bruder Aemil beisteht, als der seiner Frau Lotte zwei Zähne ziehen muss. Auch ihren redlichen Willen lobt er, und doch bleibt sie immer ein fremdes Element, ein Ton, der in den Accord des Familienlebens nicht aufgeht. Menschliche Nähe, die Storm für ein erträgliches Miteinander braucht, vermag dieses ungleiche Paar nicht zu entwickeln, man bleibt auf Abstand. Storm beschreibt sie als innerlichst unsympathisch, und da stutzt der Leser, wäre da nicht ein weiterer Hinweis, denn ihre Natur reicht nirgends hin, wohin Constanze so leicht und süß mit mir zu fliegen pflegte. Wen wundert das? Wer sollte den Fliegerinnen-Vergleich mit Constanze je bestehen? Auch in den Augen der mutterlosen Tochter Gertrud kommt Mary schlecht weg.
    Mary sei der Grund gewesen, warum die Kinder sich nun dichter und herzlicher um den Vater scharten, der die kleinsten Regungen ihrer Kinderseelen verstand. Wohl zog der Vater seine Kinder auch dichter

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