Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
an sich heran; denn kaum etwas war ihm unheimlicher und verwünschter als Einsamkeit und Verlassenheit. Storm dichtet in dieser Zeit ein Kindergebet, das er, der Kirchenhasser und Gotteslästerer, abends mit seinen Kindern betet. Und doch: Auch der Dichter ist ein Gottsucher, ja, Gottsucher mit großer Leidenschaft und aus tiefstem Herzen: Min Ogen will ik sluten, De Welt låt ick da buten / Un dat ick nich alleene si, / Min leeve Gott komm Du to mi!
Was dem Dichter fehlt, ist eine Frau, die er liebt, denn es kann wohl Niemandem, der mich kennt, verborgen bleiben, daß ich, um wirklich zu leben, der Frauenliebe mehr bedarf, als Tausend und tausend Andre, ja mehr als Tausende dieß nur zu begreifen vermögen, schreibt Storm an seinen Schwiegervater.
Seit der Rückkehr aus dem Exil haben er und Doris Jensen sich mehrmals gesehen; wie tief die Liebe noch sitzt, zeigt die Begegnung im Sommer 1864, als Constanze angeblich vergeblich versuchte, Doris ins Haus zu nehmen. Nach Constanzes Tod, nach der Überwindung des Schocks, offenbart Storm wieder sein Talent, unter schwierigsten persönlichen Bedingungen den Kopf oben zu halten, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und es am Ende glücklich zu erreichen. Das Ziel heißt Doris Jensen.
Wir erinnern uns: Storm sprach Brinkmann gegenüber von einem Liebesverhältnis, das immer wieder rückfällig wurde und jahrelang dauerte. Auch nach der Trennung gab es einen losen Austausch von Briefen.
Doris Jensen, eine junge Frau ohne Ausbildung und Beruf – für Frauen aus wohlhabenden Familien ist das damals der Normalfall. Sie war Hausdame, Gesellschafterin, Kinderfrau und musste Ausschau halten nach einem geeigneten Mann aus gutem Hause, denn sie sollte versorgt sein, das wünschten vor allem ihre Eltern. Sie hat die Annäherung aller Männer zurückgewiesen, darunter einen, dem nichts fehlte, um ein Weiberherz zu gewinnen, schreibt Storm an Pietsch.
Für ein standesgemäßes Unterkommen war die eigene Verwandtschaft die erste Adresse. Doris‘ älterer Bruder Friedrich, Holz- und Weinhändler in Neumünster, nahm sie auf, durch dessen Frau Sophie kam sie zu deren Schwester Meta nach Fobeslet bei Kolding in Dänemark. Meta war verheiratet mit dem Gutsbesitzer Georg Lorenzen, den Storm später ebenfalls kennen lernte und in Fobeslet besuchte, mit dem er auch Briefe wechselte. Von hier schrieb Doris ihren ersten bekannt gewordenen Brief an Theodor und Constanze. Trotz ihrer demütigenden Erfahrungen in einem Leben ohne einen Reiz, voll Sorge, Entsagung u. Schmerz ist sie die lebensbejahende junge Frau geblieben, die mit ihrer Offenheit und Naivität auch Klugheit und Freundlichkeit ausstrahlt. Sie spricht Storm und Constanze gleichzeitig an in einem arglos-wehmütigen Ton, seltsam, wie sie Constanze herzlich und freimütig in ihre Worte einschließt und den Gedanken aufkommen lässt, sie könne geglaubt haben, Constanze habe von ihrer Liebesaffäre mit Theodor nichts gewusst. Sollte Doris sich jedoch über Constanzes Lage als Betrogene keine Illusionen machen, dann überrascht ihr beschränktes Einfühlungsvermögen: Ja, beste Dange, glaube mir in Husum liegt es mir zentner schwer auf dem Herzen u kann ich niemals froh da wieder werden . Und doch ist die Einfalt ergreifend, mit der sie ihre immer noch brennende Liebe zu Theodor verklausuliert offenbart: Ich bin sonst ganz wohl, will auch so viel wie möglich heiter und vernünftig sein lieber Theodor und das Leben ertragen, wie es auch kommt .
Doris hat sich ferner aufgehalten bei ihrer Schwester Rike, die in Bokhorst bei Hademarschen verheiratet war mit Storms Bruder Johannes. Zuletzt arbeitete sie beim Husumer Bürgermeister Stuhr nach dem Tod seiner Frau als Haushaltshilfe und Kinderfrau. Ihre Verbindung zu Storm und Constanze war nie völlig abgerissen. Schon gleich nach der Rückkehr aus Heiligenstadt trat sie wieder in deren Gesichtskreis.
Wann Storm und Doris ihre Wiedervereinigung fest ins Auge fassten, lässt sich nicht genau sagen; aber Anfang des Jahres 1866 mehren sich dafür die Zeichen. Storm schreibt im Februar an Hans vom Stiefmütterchen, die ich ja herzlich lieb habe und die nur für mich und meine Kinder auf der Welt sein will. Auffallend, dass er hier und jetzt von einem Dämon des Trübsinns berichtet, der Doris anscheinend befallen hat; die Zeichen stünden jedoch günstig, denn sie wird jetzt täglich heiterer und innerlich gesunder. Wie die beiden in dieser Zeit miteinander umgehen, sagt die
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