Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
seine Phantasie beflügelt und die künstlerische Arbeit antreibt; so betritt er heimatlichen Boden: Ich bedarf äußerlich der Enge, um innerlich ins Weite zu gehen .
Nicht nur sein fragwürdiges Taktgefühl, sondern auch das Echo seiner Briefpartnerinnen verblüffen. Die drei Dichterinnen wollen selbstverständlich seinen fachmännischen Rat hören, sie lassen sich seine erotischen Signale gefallen und erwidern sie. In den Bemerkungen zu ihren Arbeiten rühmt er, ebenso wie er verreißt. Den Tadel nehmen die Briefpartnerinnen hin; ihnen ist ehrliche Kritik lieber als fadenscheiniges Lob. Sie zeigen Stärke. Als Schriftstellerinnen, die sich gegen ihre männlichen Kollegen nur schwer behaupten können, sind sie die Missachtung der Männer gewohnt. Storm nimmt sie in ihrer künstlerischen Arbeit ernst; seine Kritik entwickelt er nicht aus der Beschränktheit des männlichen Vorurteils. – Wirklich? Storm kann auch anders, wenn nicht Fragen der Kunst erörtert werden: Denn was alles an mir zerrt, davon hat so ein lediges Frauenzimmerle, – »Frauengeziefer« sagt mein Sohn Hans – keinen Begriff . Offenbar will Storm das Wort »Ungeziefer« durchblicken lassen, und Sohn Hans, der zu dieser Zeit einundzwanzig Jahre alt ist, nimmt er – nicht ganz ohne Stolz – als Helfershelfer.
An Storm zerren vor allem die eigenen Krankheiten, und die breitet er auch hier gern aus: Ich habe nemlich schon seit etwa 4 Monaten – ich glaube nicht, daß ich etwas davon noch gegen Sie erwähnte – an einer Nerven- u – Herz – oder, wie soll ich sagen? – nervösen Herzaffection gelitten, die mich an allem Gehen, außer dem nothwendigsten hinderte und auch noch hindert, da ich sofort Athemnoth bekomme; eben das tritt auch nach den Mahlzeiten und nach geistigen Anstrengungen ein; und in den Weihnachtstagen war die Sache besonders schlimm .
»Storm als Erzieher«, unter diesem Titel hat Oskar Katann die Briefe an Ada Christen herausgegeben. Tatsächlich hat diese sich empfunden als sein Ziehkind, meine Wenigkeit . Und Storm ist für sie mein hochverehrter Freund und Meister . Der weiß viel zu sagen, er kann sein Lob raffiniert verpacken. Als Ada Christen ihm 1884 ihr Buch »Aus der Tiefe« schickt, steht er vor einer längeren Berlin-Reise, er schreibt nach Wien: Es ist ein sehr ernstes,
oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht
ein Lebendiges dahinter, und das Buch hat den rechten Titel. […]. Ich nehme morgen das Büchlein mit auf meine lange Reise; denn so klein es ist, es ist recht viel darin zu lesen . Wer wäre nicht angenehm berührt von solchem Zuspruch?
Als Erzieher ist Storm entweder schwer erträglich oder wunderlich. Immer ist er wie mit der Lupe bei seinen Briefpartnerinnen, sieht sie und ihre Angelegenheiten in der Vergrößerung. Lebens- und Ehefragen greift er auf, da spricht er als unverkennbarer Vertreter seiner Zeit: Wie steht es mit der stillen Milde, mit dem Fügen und Resignieren? Vermögen Sie das? Indem er Leid und Schmerz seiner eigenen Ehegeschichte unterdrückt oder in altbekannter Selbsttäuschung nicht wahrhaben will, fügt er mit erhobenem Zeigefinger hinzu: Die Ehe ist eine strenge Schule gegenseitigen Rücksichtnehmens und Tragens . Den Zeigefinger kann er aber auch zurücknehmen, um gleichzeitig aus dieser Geste noch Kapital zu schlagen: Sie sehen, liebe Frau Christine, ich bin immer noch der alte Schulmeister; vielleicht thut Ihnen der alte Ton gar wohl .
Gegen Ada Christens bewegte Jugend, die sie als Kurtisane, Schauspielerin und Tänzerin einer Wandertruppe in die Niederungen und Abwege der k. u. k.-Gesellschaft Österreichs führte, weiß Storm sich zu behaupten: Ich bin nicht unbekannt mit dem Schmutz des Lebens; ich habe viel in Berlin verkehrt. Ein paar Gedanken weiter lädt er sie und ihren Mann nach Husum ein und preist die graue Stadt am Meer: Sie sollen, wenn Sie fürlieb nehmen wollen, freundlich aufgenommen sein und Familien kennen lernen, in denen kein Hauch jener Verderbnis und doch volle geistige Frische ohne jegliche Spur von Prüderie herrscht . Daraus folgt einen Monat später für Haushalts- und Gesundheitsfragen: Wenn Ihr Karl Sie nur ein wenig lieb hat, so darf er Sie niemals wieder bügeln lassen. Der Dunst ist Gift; ich weiß das aus Erfahrung. Dick unterstreichen möchte man aber Storms Lektüre-Vorschlag: Was Sie lesen sollen? Im Bereich der Poesie könnte ich wohl rathen; da meine ich Göthe, Göthe, Göthe!
Als Ada Christen
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