Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
ihn eineinhalb Jahre später fast wörtlich an Paul Heyse weitergibt, der, wie Storm, nach dem Tode seiner ersten Frau auch ein zweites Mal geheiratet hatte: Aber an Ihrer Stelle, wenn es mir vergönnt gewesen – ich hätte es auch getan .
Storm muss auch hören, eine zu schnelle Wiederverheiratung sei ein Verstoß gegen Sitte und Anstand. Das greift ihn wenig an, da er wachgeru-
fen worden ist; er geht den Weg, der ihm als der einzig richtige erscheint. Seinen Kindern will er eine Stiefmutter geben, die niemand so gut sein
kann wie Doris. »Mutter« sollen die Kinder allerdings nicht zu ihr sagen.
Für Storm wäre das wie eine Entweihung seiner Constanze. Er nimmt dafür auch Doris ins Gebet und bittet sie: Meine Do, laß sie »Tante« sagen, und –wenn es möglich ist – ein Mutterherz fühlen . Für diese Einstellung ist Storm viel kritisiert worden, weil Doris lieber »Mutter« gehört hätte, und doch ist die Anrede »Tante Do« für die Kinder natürlich und selbstverständlich; denn Doris Jensen ist für sie immer »Tante Do« gewesen, und sie selber hat sich so genannt. Sie will aber als Frau Storm nicht mehr »Tante Do« sein. So sind die Kinder zwischen »Tante« und »Mutter« hin- und hergerissen. Und Storm selber auch, er schreibt in einem Brief an Karl sowohl Tante Do wie auch unserer Mama . Erst nach und nach verschwindet das »Tante Do«, und Doris wird auch für Storm zur »Mama« und »Mutter« für alle Kinder.
Mit dem Thema »Kindererziehung«, das er seiner Do erläutern und ans Herz legen will, reitet Storm wieder sein Steckenpferd: Niemals aber leidet bei einem sonst richtigen Verhältnis die Autorität darunter, wenn man zu seinem Kinde sagt: ich that dir Unrecht, verzeih mir das mein Kind , schreibt Storm im April 1866 an Doris und zeichnet damit einen Erziehungsstil, wie man ihn sich fortschrittlicher auch heute nicht denken kann. Tatsächlich kann Storm sich für ein Unrecht, das er seinen Kindern tat, entschuldigen. Das tut er jedoch immer dann, wenn er mit seinem »Latein« am Ende ist oder befürchten muss, allein dazustehen, dann dreht er bei, und seine diesbezüglichen Entschuldigungen sind so etwas wie taktische Manöver, um sich selber zu retten. Solange er Oberwasser spürt, erhält er in den Briefen an seine Kinder den autoritären Ton aufrecht, dem er von Fall zu Fall mit der ihm eigenen Raffinesse auch eine Prise Zucker beimischt.
Auch seinen aus dem Rahmen fallenden Liebesglauben legt Storm seiner künftigen Ehefrau dar; eine Kurzfassung allerdings, die schon nach Abgesang auf die alten ehrgeizig-verstiegenen Vorstellungen klingt: Ja mein Do in der Liebe ist ein Pantoffelregiment unmöglich, da hat jeder seine Freude daran, daß der Andere seine Persönlichkeit möglichst frei auslebt . Und auch der Gottesglaube, für Doris als gläubige Christin eine starke Stütze, hat für ihn nicht mehr den Schrecken, den er mit seinem rhetorischen Eifer gnadenlos bekämpfte. Doris scheint versucht zu haben, ihn in der Glaubensfrage zu sich herüberzuziehen: […] meine kleine Do, ich will gern die süßen frommen Märchen von Dir hören. Du magst mir Abends in meinem Arm oder mit aufgestütztem Arm im Kissen liegend vom lieben Gott erzählen, wie er alle seine Menschen liebt, und wie keiner verloren ist, wie ein Engel die Seele zu ihm trägt, und wie zu seinen Füßen sich alle selig wiederfinden, die sich auf Erden liebten und verloren . So spricht kein persönlicher Feind des lieben Gottes . Dieser liebevolle Ton des Verstehens und Duldens ist ungewöhnlich, er ist eine Rede an und für sich selbst, eine Art Heilbehandlung in eigener Sache.
In den ersten Monaten des Jahres 1866 hat Storm die wichtigsten Fragen geklärt. Rückendeckung geben die Familien in Husum und Segeberg, Doris kennt seine Ansichten zu Glaube, Liebe und Erziehung, die Kinder sind in das neue Lebensprojekt einbezogen. Nun, in einem weiteren Schritt, wendet Storm sich an die ihm wichtigsten Freunde: Brinkmann und Pietsch.
Storm braucht Brinkmann und seine Frau Laura als erste Beichteltern. Warum die Brinkmanns? Mit Hartmuth Brinkmann pflegte er enge freundschaftliche Verbindung in der Zeit, als ihn die Leidenschaft für Doris Jensen packte. Sie sprachen über »Gott und die Welt«. Storm spürte das und ließ ihn das in einem Nebensatz wissen: Der Du mich liebst . Obwohl sich beide damals so nahe standen, scheint Storm das Doris-Geheimnis nicht ausgeplaudert zu haben. Dass Brinkmann davon gewusst hat, muss man
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