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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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nächste Woche dahin abgehen. Der Mann hat keine Frau; er wohnt winters in Hamburg, sommers in einem freundlichen Landhause in Hamb; sein Hausstand besteht aus ihm, einer 20 jährigen Tochter, einer seit 18 Jahren bei ihm gedienten Köchin, 2 Mädchen und Kutscher. Die Briefe des Mannes zeugen von bester Bildung. Ich habe die Correspondenz geführt . Der wohlhabende Hamburger ist der Verleger und Zeitungsmann J. F. Richter, dessen Blatt »Reform« zu den größten Hamburger Tageszeitungen gehörte. Storm hat die Sache eingefädelt und verabredet, sein Mitleid ist trotz aller Vorbehalte bei Mary, denn auch sie ist eine Unbehauste, immer auf der Suche nach einem Unterschlupf.
    Jetzt, nach Abschluss des Projektes »Wiederverheiratung« könnte er glücklich und zufrieden sein. Kritische Stimmen meldet Pietsch noch aus Berlin, Frauenstimmen, die Storms frühe Wiederverheiratung mit Doris als Akt der Untreue gegenüber Constanze werten. Storm schreibt zurück: Ich bin der Toten nicht untreu, aber weil ich leben muß, so will ich leben .

In der Wasserreihe
oder Die Piefkes kommen
    Seit dem 8. Oktober 1866 wohnen die Storms in Husums 5. Quartier Nr. 46/47, in der Wasserreihe, zehn Minuten Fußweg von der Süderstraße, mehr im Westen Husums. Das Haus wurde 1730 gebaut, in der Epoche des Rokoko. Zwei Stockwerke hoch, ein stattliches Dach darauf, Giebel zur Straße mit jeweils vier und zwei Luken für die beiden übereinanderliegenden Kornböden. Doris kennt das Haus. Hier, wo heute die erste Storm-Erinnerungsstätte ihren Platz hat, fühlt Storm sich wohl. Die Stadtwerke bringen die letzte technische Errungenschaft ins Haus: Leuchtgas strömt jetzt in die Lampen des Hauses in der Wasserreihe. Das Erdgeschoss ist mit Gas erleuchtet, durch dessen Qualität Husum exzelliert, schreibt er an Pietsch. Elf Flammen brennen dort unten. In beiden Wohnstuben zünden Storm und »Tante Do« zum ersten Mal die Gaslampen an, und die Kinder werden dazu wie bei der Weihnachtsbescherung hereingelassen.
    Das Gas exzelliert aber nicht nur als Beleuchtung und zur Unterhaltung, sondern wird auch als Gesundheitsmittel gegen Keuchhusten eingesetzt. Nesthäkchen Gertrud hat einen leichten Anfall von Keuchhusten, der aber auf Null schwindet, seit wir sie auf Aemils Rath 1–2 Stunden täglich in die Gasanstalt schicken , schreibt Storm seinem Schwiegervater nach Segeberg. Jedoch wird Gertrud zwei Monate später immer noch vom Keuchhusten geplagt, im Dezember endlich ist die Krankheit überstanden. »Stadtgas« oder »Leuchtgas« wird damals durch Kohlevergasung gewonnen, wobei ein Gemisch entsteht, das das hochgiftige Kohlenmonoxyd enthält.
    Storm ist aufgeschlossen für neue technische Errungenschaften. Mit einem gewissen Stolz bemerkt er auch die wissenschaftlich konstruierten Bänke nebst Luftheizung im neuen preußischen Gymnasium, das die Söhne Ernst und Karl besuchen.
    Inzwischen ist aus Berlin die Urkunde »Im Namen des Königs« über seine Ernennung zum Amtsrichter eingetroffen, nachdem Preußen Österreich in der Schlacht bei Königgrätz besiegt hat. Er scheint sich für diese Schlacht so wenig zu interessieren wie für den Kampf auf den Düppeler Schanzen vor zwei Jahren. Vom preußischen Siegestaumel nach Königgrätz wird er sich abgewendet haben, wie nach dem Sieg von Düppel.
    Auch von diesem Sieg schneidet sich die Militärmusik ihr Stück ab: Aus der Feder des Musikdirektors Johann Gottfried Piefke, der schon in den Kampf um die Düppeler Schanzen hineindirigiert hatte, entsteht der
»Königgrätzer Marsch«. Fast wäre er nun mit seinen Musikern zur Siegesparade in Wien angetreten. Das aber hat Bismarck gegen den Willen des Königs und hoher Militärs verhindert: Der Feind von gestern soll nicht unnötig gedemütigt werden. Nicht in Wien, sondern nahebei, in der kleinen Stadt Gänserndorf, auf dem schlachterprobten Marchfeld, findet die Siegesparade statt. Piefke und sein Militärmusiker-Bruder Rudolf marschieren dort, Seite an Seite, an der Spitze des Musikkorps. Die Piefkes kommen , sollen die Wiener gerufen haben. Damit sei der österreichische Spottname für die Deutschen in der Welt gewesen, heißt es bei Wikipedia unter dem Stichwort »Piefke«.
    Für die Herzogtümer Schleswig und Holstein bedeutet Königgrätz: Die schönen Tage sind nun endgültig gezählt. Die Einverleibung durch Preußen steht kurz bevor. Österreichs Soldaten, die für die schleswig-holsteinische Sache gekämpft haben, verlassen das Land zwischen den

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