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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Meeren. Die Gefallenen sind in einem Denkmal sicher verwahrt. Das ist vielen Schleswig-Holsteinern nur recht, denn Siegerstimmung steckt an, sie sagen: Was wollten die Österreicher eigentlich hier oben bei uns? Da ist viel Einschmeicheln und Anbiedern. Storm schreibt von entwürdigenden Kriechereien seiner Landsleute.
    Bismarck hat die letzte große Etappe vor dem Ziel »Deutsche Einheit« erreicht. Bald werden Schleswig und Holstein nur noch die eine preußische Provinz Schleswig-Holstein sein. Erst 1876 wird Lauenburg hinzukommen, das seit 1865 durch Personalunion mit Preußen verbunden ist. Oberpräsident wird einer, der schon in dänischen Diensten war, der während der Besatzungszeit gegen die dänische Willkür seine Stimme erhob, der dann entschieden für die Vereinigung mit Preußen eintrat: Karl Scheel-Plessen (1811–1892). Im Namen des preußischen Königs wird er die Provinz verwalten und zunächst auf dem Verordnungsweg regieren. Für Storm ist das ein Alptraum. Sein abwegiger, kurzer Traum von einem unabhängigen Schleswig-Holstein ist endgültig geplatzt. Der noch abwegigere von einem Herzogtum wie einstmals – ein freundlicher König weit weg in Kopenhagen, ein behagliches Leben in Husum, wie es Vater Johann Casimir das Liebste gewesen wäre – das alles ist unwiederbringlich. Storms Novelle »Auf dem Staatshof« war schon 1858 ein Abgesang auf die gute alte Zeit.
    Mit dem Anstellungspatent ist Storms Jahresgehalt auf 4200 Mark fixiert. Das schreibt er Freund Pietsch. Bisher verdiente Storm 6000 Mark aus »Sporteln«, also aus Gebühren, die er für seine richterliche Tätigkeit einkassieren durfte. Die Familie muss sparen, denn auch von den bisherigen 6000 Mark hätte sie nicht leben können, 6500 bis 7000 Mark wären darum erforderlich. So essen wir denn in unsrer fetten Heimat, wie einst auf dem mageren Eichsfelde, die Semmeln wieder ohne Butter und trinken den Tee ohne Zucker , heißt es im Brief an Pietsch. Der Dichter-Richter und Aristokrat fühlt sich äußerlich unter‘s Proletariat gedrängt.
    Aber noch steht Vater Johann Casimir seinen Mann und lässt den Sohn nicht verkommen: Eben schickt mir mein Vater 20 Flaschen Wein . Es kommt noch mehr: einige Fuder Holz, ein Stück Rauchfleisch, eine Gans und für »Frau Do« ein Kassenschein. Storm vergisst nie die Wohltaten seines Vaters: Dieser alte eigentümliche Mann trägt wie eine Mutter seine Kinder unterm Herzen, und wenn sie noch so alt werden . Steht es also um die Familie wirklich so schlimm? Schließlich hat Storm gerade mit Hilfe seines Vaters für 9000 Mark das große Haus in der Wasserreihe gekauft, und sein Protest wegen der Gehaltsminderung hat schließlich Erfolg; die Vorgesetzten bewilligen 500 Mark mehr Jahresgehalt.
    Am 12. Januar 1867 vereinigt Wilhelm I. durch »Allerhöchste Proklamation« die Einwohner der Herzogthümer Holstein und Schleswig, mit Meinen Unterthanen, Euern Nachbarn und Deutschen Brüdern. Der preußische König unterschreibt mit Das walte Gott und Wilhelm . Schon einen Monat später, am 12. Februar 1867, findet die Wahl zum »Verfassunggebenden Norddeutschen Reichstag« statt. Die Wahl wird gemeindeweise durchgeführt und ist für die Männer frei; sie haben gleiches Wahlrecht ab fünfundzwanzig. Storm nimmt gründlich Anteil an dieser politischen Veranstaltung, in der Familie wird heftig diskutiert, Bruder Aemil sei sogar fanatisiert , schreibt Storm an Sohn Hans einen Tag nach der Wahl. Sein Interesse ist nicht verwunderlich; denn die Wahl findet bei ihm vor der Haustür statt, er kennt die Kandidaten persönlich und ist damit persönlich betroffen. Er wählt den »Schleswig-Holsteiner« Beseler, den er schon 1844 auf dem Nordfriesenfest in Bredstedt hat reden hören.
    Dass die Wahlen für Preußen enttäuschend ausgehen, ist nicht verwunderlich, nachdem Dänemark besiegt ist und vierzig Prozent seines Staatsgebietes mit über dreißig Prozent seiner Bevölkerung verloren hat. Nordschleswig, das etwa von der jetzigen dänisch-deutschen Grenze einhundert Kilometer nördlich bis zur Königsau und Kolding reichte, wählt mit überwältigender Mehrheit dänisch, während südlich davon bis zu einer Linie Bredstedt/Kappeln der dänische Stimmenanteil nur noch fünfzehn Prozent beträgt, unterhalb dieser Linie aber macht kaum noch ein Wähler sein Kreuz für die dänische Seite.
    Im Zuge der preußischen Verwaltungs- und Justizreform wird das alte innenpolitische Gefüge der Herzogtümer aufgelöst, die

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