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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Kerl hat nun gar keinen Respekt und wir spielen ihm tüchtig auf die Nase. Man preparirt sich nicht und nimmt auch oft gar kein Buch mit, so, daß oft nur 3–4 Bücher in der ganzen Schule sind. Einmal warfen wir ihn mit einem Futjen (Weihnachtskuchen) an den Kopf, ein andermal war in der Classe ein ganz unmenschlicher Spektakel (der eine trommelt mit den Fingern auf den Tisch, der andere pfeift, der dritte singt »schöner grüner Jungfernkranz«, als ob gar kein Wolf – dies ist sein so sehr auf ihn passender Name – da wäre…) in der Classe statt fand, bat er uns, wir möchten doch ein wenig stille seyn, so sagte einer ganz treuherzig zu ihm: »Ach Herr Kollaborator, das ist die liebe Jugend!« »Ja, ja«, schrie ein andrer ganz über laut ihm zu: »Jugend kennt keine [Tugend]!«, worauf er denn mit einem gnädigen Lächeln erwiederte; einandermal sagte ihm jemand, daß es dummer Schnack wäre, was er gesagt hätte et. cet. Nun will ich Dir nur vermelden, daß ich zur Konfirmation gehe. Fritz Schmidt ist jetzt auf der Insel Föhr und lernt dort die Steuermannskunst. Sonnabend nimmt der Organist Abel (oder Apel) unsre neue Orgel ab und am Abend wird dieser ausgezeichnete Künstler ein Orgelkonzert in der Kirche geben. Klander und ich haben jetzt französische Stunden bei einer alten Madam et nous parlon toujours francois, toujours, c’est, que vous pouves croire, mon cher cousin! Nun noch eine Bitte, willst Du nicht die Güte haben, mir 3 Kragenknöpfe a Stück 20 ß (Schilling) zu besorgen und sie Alsen mitgeben, von dem Du auch ja nur das Geld fodern kannst; denn er kann es ja wieder erhalten, sobald er in Husum kömmt. Die Wahl derselben überlasse ich ganz Deinem Geschmack: In Husum gehts immer auf’n hauen und stechen los. Du wirst vermuthlich in Hamburg dies auch nicht unterlassen haben! Schreibe mir recht bald einen langen Brief und erzähle mir recht viel von Deinem Treiben und Wogen da. Grüße Tante Alsen, Otto und Friederike. Vergesse es nicht. Nun für dießmal: Gute Nacht Herr Vetter: Ich empfehle mich hiemit
    Dein
    Freund und Vetter Storm
    Psc.
    Bald hätte ich die Hauptsache vergessen: Fröhliches Fest, Herr Vetter!
    Der gewohnten Ordnung und den Alten geht es hier an den Kragen, neue Jugend winkt neuer Ordnung und einer neuen Zeit. Das Zitat schöner grüner Jungfernkranz und der Hinweis auf den Wolf als Namensgeber für die Wolfsschlucht verweisen auf die Oper »Der Freischütz« von Carl Maria von Weber, uraufgeführt 1821 in Berlin. (Storm schreibt »Wolf«, korrekt wäre ein doppeltes »f«.) Begeisterung und Jubel über diese Oper kannten keine Grenzen, darum wurde sie überall in deutschen Landen schnell verbreitet. Sie traf die Stimmung des Volkes, weil sie mit alten Traditionen brach und als Ausdruck des erstarkenden Nationalbewusstseins empfunden wurde. Im September 1817, Storms Geburtsmonat und Geburtsjahr, brachen die Studenten auf zum Wartburgfest, um verhasste Symbole zu verbrennen: Schnürbrust, Haarzopf und Korporalstock. Nieder mit Reaktion und Wiener Kongress. Irgendwie schallte das auch aus dem »Freischütz« heraus. Volksnähe, »einfache« Männer und Frauen, Bauern und Jäger, Naturbilder, Geister und Gespenster traten da auf. Wie ein Gruß von Lena Wies. Auch grüßten neue, unerhörte Klangfarben, überraschten und begeisterten. Die Melodien hatten sich längst herumgesungen. Storm muss die Oper schon damals gekannt haben, vielleicht hat er in einer konzertanten Aufführung fahrenden Sängern gelauscht. Denkbar auch, dass nicht irgendeiner, sondern er selber die Melodie vom schönen grünen Jungfernkranz dem Wolf ins Gesicht gepfiffen hat. Später, als Chorleiter, ließ Storm seine Gesangvereine Chöre und mehrstimmige Partien aus dem »Freischütz« singen, und er selber – Ich bin nämlich ungefähr soviel Tenorsänger, als ich Poet bin, schreibt er später an Mörike – sang den Max.
    Tollheit und Übermut der jungen Gelehrtenschüler werden von Storms Briefkunst wie von einem geschickten Reiter im Zaum gehalten. Jugend kennt keine Tugend, so schreit die liebe Jugend und will hinaus in einen neuen Morgen, der noch hinter dem altgewohnten dämmert: Doch mein Morgen wird erst jenseits wach (»Sängers Abendlied«). Respektlosigkeit und Anmaßung lassen auch das Französisch aus dem Ruder laufen. So ist es frech, ungehorsam und unterhaltsam. Und so geht es auch in der Gelehrtenschule zu. Storm hat davon zweifachen Spaß: Er hat am wirklichen Geschehen

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