Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
teilgenommen, und er hat noch das Vergnügen, diesen Brief zu schreiben. Einen Spaß wollte er sicher auch Vetter Fritz bereiten – das wäre für ihn selber sogar der dritte Spaß –, und nebenbei wollte er den Vetter beliefern mit Nachrichten aus Husum, mit Neuigkeiten aus Familie und Freundeskreis. Der Vetter in Altona war, wie Mozarts Bäsle, der richtige Adressat, den Storm für die Freiheit, sich ein saftiges Stück Komödientheater zu leisten, brauchte. Ob er geantwortet hat?
Theaterdonner
Das Theater hatte Storm schon früh für sich entdeckt und seine ganze Freizeit mit der Direction eines Puppentheaters ausgefüllt , erzählt er später seiner Verlobten Constanze. Die Aufführungen fanden statt in der Hohlen Gasse. Zwei nebeneinanderliegende Stuben dienten als Theater; in der einen saßen die Zuschauer – Familie, Dienstboten und Nachbarn –, in der anderen wurde das Puppenspiel mit den Freunden Ohlhues und Krebs vorbereitet und auf der Bühne, die in der offenen Tür zwischen beiden Stuben errichtet war, zur Aufführung gebracht. Mozarts »Zauberflöte« ging über die Bretter, die Liebesgeschichte einer Gräfin Sophie, auch selbst verfasste Puppentheaterstücke. Donner erzeugte die Technik mit Kupferplatten, und Blitze zuckten, wenn Bärlappsamen als Zündpulver dienten. Zwischen den Akten feuerte man eine kleine Kanone aus Messing ab, was die Feierlichkeit auf das höchste steigerte .
Wie die Truppe eines Tages wegen mangelhaften Übens im Text stecken blieb und nicht weiterwusste, auch davon erzählt Storm in seinem Brief an Constanze. Die Zuschauer lachten, der Vorhang musste fallen. Er, Storm, sei dann naß vor Angstschweiß vor das Publikum getreten und habe ersatzweise »Die Geschichte von Goliath und David in Reime gebracht« von Matthias Claudius aufgesagt. Sieben Strophen zu je sechs Versen, macht zweiundvierzig im Kopf abrufbare Verse. Eine Leistung, die Storm seiner Gelehrtenschule verdankte.
Von einem Theater-Drama ähnlicher Art aus der Kinderzeit erzählt ein Brief, den Storm im Alter von fünfundsechzig Jahren an Paul Heyse schrieb:
Hademarschen, 27. März 1883
Lieber Paul – ich muß Dich wieder bei Deinem Vornamen nennen –, ich will Dir eine Geschichte aus meiner Knaben- vielmehr Kinderzeit erzählen, denn ich mag damals nicht über sechs oder sieben Jahre gewesen sein; sie ist buchstäblich wahr.
Ich hatte mir aus einer alten Zuckerkiste auf unserem Hofe eine Jahrmarktsbude zusammengeklütert und bedurfte nun, als die schwierige Arbeit fertig war, auch der Waaren – Manufacturwaaren sollten es sein –, und bei der Größe meiner Bude einer ziemlichen Quantität, die ich darin feilhalten wollte. Meine bei uns lebende Großmutter war in ihrer Güte und Heiterkeit zwar stets zu aller Aushülfe bereit; aber die verschiedenen »Plünnen-Schiebladen« waren unter Herrschaft und Verschluß meiner Mutter. Da diese indeß an dem betreffenden Vormittage stark in Haushalts-Geschäften steckte, so wagte ich mich nicht recht heran. Endlich überwog die Begier, welche all die in Verschluß gehaltenen bunten Lappen vor meinen Augen tanzen ließ.
Zu meinem Erstaunen wurde ich nicht auf’s Warten verwiesen, sondern meine Mutter ließ alles Andere stehn und liegen und kniete bald im Saal, bald auf dem Hausboden unermüdlich mit mir vor allen Schubladen und Schränken und suchte mir selbst aufs freundlichste einen ganzen Haufen; eine ganze Welt von herrlichen Lappen zusammen; noch seh ich deutlich einen großen hell- und dunkelbraun gestreiften vor meinen alten Augen.
Es war eine gute Mutter, meine Mutter; aber sie hatte doch gegen die allzu überschwangliche Güte meiner Großmutter ( ihrer Mutter) in gewisser Weise Stellung genommen; und daher wurde ich von dieser so augenblicklichen und Alles übersteigenden Erfüllung meiner Wünsche ganz betäubt in meinem Kindskopfe. Tagsüber, als ich mit dem Reichthum in meiner Bude wirthschaftete, vergaß ich zwar darum; aber als ich Abends oben allein in meinem Trallenbette [Gitterbett] lag, überkam es mich wieder: Diese unerhörte Güte musste eine ganz bestimmte Ursache haben; was konnte es sein? Und als ich weiter grübelte, hatte ich es endlich herausgefunden: meine Mutter wollte mich ermorden! Ein Entsetzen überfiel mich, und als meine Großmutter, wohl um, wie sie pflegte, noch einmal nach mir zu sehen, fand sie mich in Todesangst und Thränen über mein erbärmliches Geschick. Als ich ihr gebeichtet, holte sie auch meine
Weitere Kostenlose Bücher