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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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keine Tuberkulose erkannt. Seine Briefe klingen vielversprechend; so dass Storm im Herbst nächsten Jahres mit dem Physikum des stud. med. Storm in Tübingen rechnet. Schöne Aussichten, gute Stimmung, die Freund Pietsch nach Berlin so gemeldet werden: Der alte prächtige Junge ist ganz wohl und studiert regelrecht weiter. Auch Ernst ist ganz gesund. Die Kleinen gedeihen wie das Unkraut. Reizende Gören; und ihrer Mutter Auge ist Staub . Zu viel Eifer in der Schilderung der Hochstimmung, in die sich die Erinnerung an Constanze schleicht.
    Mag die Laune im Poetenstübchen auch gehoben sein, tief innen ziehen und zerren die Familiensorgen am Hausherrn. Trösterin und treueste Begleiterin ist die Musik; Storm beteuert es wieder und wieder. Nicht nur Hausmusik, nicht nur Kinderklavierspiel, dem Storm kritisch zuhört. Lisbeth hat dafür eine schöne Begabung, der originelle, entschieden künstlerisch beanlagte Karl , dessen Musikalität unüberhörbar ist, kann besser auf dem Klavier phantasieren als nach Noten spielen. Konzentration ist nicht seine Sache; Musiktheorie ebenso wenig. Aber die ist auch nicht Storms Stärke; und das ist wohl der Grund, warum ihm das Komponieren nicht so von der Hand geht wie das Singen aus der Kehle. Auf seine alten Tage nimmt er, zusammen mit Karl und Lisbeth, Harmonielehrestunden bei Adolph Möller, einem begabten Husumer Pianisten und Komponisten, ebenfalls Mitwirkender in Storms Gesangverein.
    Leicht von der Hand geht das Dirigieren der fünfzig Sänger und Sängerinnen. Autorität gewinnt Storm nicht nur, weil er als Richter und Dichter, Tenor und Dirigent den Sängern vorsteht, sondern vor allem andern durch seine Leidenschaft für die Musik und die Hingabe für den Chor, durch seine Zähigkeit und Zuverlässigkeit, die das Vereinsleben prägen und lebendig halten: Auch mit den preußischen Offizieren, die hier sonst vielen Widerspruch erfahren, bin ich in freundliche Beziehung gekommen; sie sind nämlich vorher in Segeberg gewesen und haben dort mit unsern Verwandten verkehrt. Einige sind auch in meinem Gesangverein, was übrigens einige Husumer Mitglieder hat verschwinden machen, schreibt er Freund Pietsch.
    Auch hier und jetzt ist Storm ein Mann der Praxis: Sind etwa Tenöre unter den Preußen? Die braucht er nämlich dringend für seinen Chor: Nur am Tenor kranken wir, wie überall in Norddeutschland , schreibt er an Hans. Mit den Preußen als Tenören und Bässen, mit Mary Pyle, die als Altistin noch die Preußen in Husum singen hört, mit den Storm-Söhnen und der Schwägerin Charlotte ist der »Husumer Gesangverein für gemischten Chor« ein schöner, farbenreicher Sängerbund, und dass die preußischen Offiziere Storms Dirigentenstab gehorsam folgen, ist eine erhellende, liebenswerte Zugabe zum Thema »Storm und die Preußen«.
    Von der Idee des gemischten Chors, in dem Männer und Frauen vereint vierstimmig singen, ist Storm nie abgewichen. In seiner Novelle »Ein stiller Musikant« lässt er den Musikmeister sagen, warum er Liedertafeln und Männerchor ablehnt, der ewige Männergesang, sagt er geringschätzig. Da riecht es ihm zu viel nach Bierbank , mit anderen Worten: Es riecht zu viel nach Politik, die bei Storm wenig und in der Musik schon gar nichts zu suchen hat. Entsprechend ist das Programm: Keine nationalen Vaterlandsbeschwörungsgesänge, keine süßliche Männerchor-Romantik, die jetzt überall in Deutschland blüht, sondern klassische und neue Musik. Storm setzt die Tradition der ersten Husumer Konzertjahre fort und die Singezeit von Heiligenstadt: Johannes Brahms, Christoph Willibald Gluck, Georg Friedrich Händel, Albert Lortzing, Felix Mendelssohn, Wolfgang Amadeus Mozart, Carl Reinecke, Franz Schubert, Robert Schumann, Carl Maria von Weber werden aufgeführt.
    Welcher Güteklasse die Konzerte zugeordnet werden müssen, lässt sich nur erahnen. Der Verein ist tollkühn genug, einen neuen Konzertflügel anschaffen zu wollen und kauft ein gebrauchtes Instrument für fünfhundert Taler. Neben Storm selber als herausragendem Sänger verfügt der Chor über einen Bariton ersten Ranges und über die Sopranistin Frau Dr. Petersen, wie Storm sie in seinen Briefen nennt. Sie ist verheiratet mit dem Archäologen Dr. Eugen Petersen (1836–1914), der mit den Preußen kam und von 1864 bis 1869 Gymnasiallehrer in Husum war, und sie ist die Nichte des berühmten Mozart-Biographen Otto Jahn. Von ihrer »Iphigenie« in Glucks gleichnamiger Oper ist Storm hingerissen; leider

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