Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Opfer macht. Auch damit kann Storm Erinnerungen an eine entscheidende Dichterzeit heraufrufen, als Bertha von Buchan in ihm so viel Leidenschaft und Begehren weckte, dass er unter ihrem Einfluss seine ersten unverwechselbaren Gedichte mit eben dem Subtext von Sexualität schreiben und ihr widmen konnte.
Wahrscheinlich steckt in dem unausstehlich souverainen musikalischen Hochmut des Chormitglieds Ida Petersen, den Storm beklagt, auch der Durchblick, mit dem diese Frau schnell begriffen hat, was denn eigentlich im Studentenlied aus dem schönen Regensburg verborgen liegt.
Mag sein, dass der Dichter mit diesem Studentenlied seinen Sinn für Humor, den er sich selber stets aufs Neue bescheinigt, zum Vorschein bringen wollte. Das ging gründlich daneben, und er wird bemerkt haben, warum. Mag Humor nicht seine Stärke sein, so kann Storm aber wuchern mit seinem feinen Gespür. Da er nicht nachtragend ist, kann er schnell den ersten Schritt tun und nach einer Niederlage auch das erste Wort sagen. So kommt die Versöhnung mit Ida Petersen zustande.
Solange der Sabel arbeitet, soll der Schnabel schweigen
In Heide traf uns die Kriegserklärung , schreibt Storm aus Hademarschen an seinen Sohn Ernst. Die Emser Depesche verhagelt ihm dort den Sommeraufenthalt. Immerhin aber bringt ein Ausflug mit Pferd und Wagen durch Feld und Wald Nahrung für Storms naturhungrige Seele. Picknick mit Lagerfeuer, die Frauen kochen Kaffee. Frau Doris, die Kinder Elsabe, Gertrud, Friederike und das Kindermädchen sind bei ihm. Die Wohnung in Husum ist verwaist. Hans studiert in Kiel, Ernst in Tübingen, Lisbeth ist zu Besuch bei Doris‘ ältestem Bruder Friedrich Jensen in Neumünster, der in zweiter Ehe mit Constanzes Schwester Sophie verheiratet ist. Lucie verbringt diese Sommertage im Meggerkoog bei Freunden.
Kriegserklärung? Davon kann keine Rede sein, denn als Storm seinen Brief schreibt, ist der Krieg noch gar nicht erklärt. Erst am 19. Juli sagt Frankreich dem Königreich Preußen den Kampf an, nachdem der in Bad Ems
zur Kur weilende König Wilhelm I. Frankreichs ultimative Forderung, kein Hohenzoller solle je spanische Majestät sein, zurückgewiesen hat. 1870 tappt Frankreich als Elefant im diplomatischen Porzellanladen ähnlich in die Bismarck-Falle wie Dänemark 1864. Bismarck streicht während eines Essens mit den preußischen Feldmarschällen Moltke und Roon das Telegramm vom 13. Juli aus Bad Ems mit der überzogenen Forderung zusammen und meint, dass er damit » den Eindruck des roten Tuches auf den gallischen Stier machen « würde, der nun schlagen müsse, und dann als Angreifer dastehe. Noch am selben Tag wird die Bismarcksche Formulierung als Pressemitteilung in Deutschland verbreitet, und schon einen Tag später, am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, erscheint sie übersetzt in Frankreich; sie findet dort ebenso rasch empörte Leser wie in Deutschland.
Bismarcks Rechnung geht wieder einmal auf. Er steht kurz vor seinem Ziel: der Einigung Deutschlands. Seine Lesart des Streites um die spanische Thronfolge wirkt, als habe Frankreich schon den Krieg erklärt.
Kein Wunder, dass auch Storm von »Kriegserklärung« spricht, wenn das Wort schon in aller Munde ist. Er fügt in seinem Brief an Ernst hinzu: eine frevelhaftere hat‘s wohl nicht gegeben, aber unser böser Nachbar denkt Deutschland nun noch zertreten zu können, ehe es völlig ausgewachsen. Da stutzt der Leser. Was hat Storm gegen Frankreich? Er scheint mitgerissen zu sein. Legt er tatsächlich Wert auf ein großes, einiges Deutschland? Das klingt aus seiner Feder fremd und neu.
Echte Kriegsbegeisterung zeigt er von Anfang an nicht. Er meint aber,
der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich sei unvermeidlich. Deutschen Herd und deutsche Gesittung haben wir jetzt zu verteidigen gegen die Romanen, schreibt er an Ada Christen. Auch das klingt nicht »stormsch«, ein seltsam deutschtümelnder Ton hat sich bei ihm eingeschlichen. Immerhin, Wörter wie »Germania«, die deutsche Intellektuelle jetzt wie besoffen hervorsprudeln, nimmt er nicht in den Mund. Freiligraths Gedicht zum Krieg »Hurra, Germania« findet er allerdings wunderschön, das sei ganz der alte goldne Klang wie in seiner besten Jugendzeit d. h. die 5 ersten Strophen; die letzten 3 sind Blech . Warum erklärt er nicht auch die fünf ersten Strophen gleich für Blech?
Die schnellen Siege bei Weißenburg (3. August) und Wörth (6. August) der unter Preußens Führung kämpfenden deutschen
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