Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
an den Dichter: Ich lebe in glücklicher Intimität mit den Kindern […], wir lesen und reden zusammen. Bisweilen schlage ich scharf .
Wenn Storm in Schleswig weilt, wird auch der Petersen-Freund Rochus von Liliencron (1820–1912) besucht, Propst des ritterlichen Damenstifts in Schleswig. Liliencron, ein Onkel des Dichters Detlev von Liliencron (1844–1909), ist bekannt als Herausgeber der »Allgemeinen Deutschen Biographie« und durch seine Volksliedforschung. Theodor Storm sang mit noch immer hübschem Tenor Lieder, wenn er aus Husum herüberkam, heißt es in der Liliencron-Biographie von Anton Bettelheim.
Der reisefreudige und kunstvernarrte Petersen besucht in Berlin alte Storm-Freunde, Adolph Menzel und Ludwig Pietsch, in München trifft er Paul Heyse, in Zürich Gottfried Keller. Er vermittelt auch mit Takt und Umsicht die Brieffreundschaft zwischen Storm und Keller. Zu einer persönlichen Begegnung, die von den beiden Dichtern immer wieder erwogen wurde, ist es nicht gekommen. Petersen hat über Keller wichtige biographische Zeugnisse hinterlassen, auch eine eindrucksvolle En-Face-Zeichnung des Keller-Kopfes von 1880; sie wird in der Zentralbibliothek in Zürich aufbewahrt.
Lange bevor der Briefwechsel im März 1877 beginnt, ist der Name des Dichters Gottfried Keller dem Dichter Theodor Storm bekannt: Alle Ihre Bücher in Vers und Prosa sind in erster Auflage meiner Bibliothek einverleibt worden . Storm hat mit seinem Brief, in dem er um die Freundschaft des Dichter-Kollegen wirbt, das schönste Ostergeschenk gemacht, das ich je in meinem Leben bekommen habe , schreibt Keller postwendend zurück. Und dem Mann aus Schleswig, Wilhelm Petersen, meldet er poetisch-humorvoll: Theodor Storm, dem Herren der Gerichte und Gedichte, dem Vogt des Meeres und des Landes, werde ich dieser Tage auch schreiben. Es ist mir angenehm und artig, daß ich auf meine alten Tage eine solche Doppelbeziehung zu dem achtbaren Norden erwischt habe .
Schon bald redet Keller seinen Husumer Kollegen an mit Liebster Freund und Nordmann und Storm antwortet mit liebster Keller. Keller bringt Witz und Heiterkeit in die Unterhaltung.
Wieder einmal erweist sich Storm als eifriger Ratgeber; Sohn Ernst beteiligt sich an den Überlegungen vor allem für die Neufassung des »Grünen Heinrich«; sie erscheint 1879 und ist mit vier Bänden bis 1880 abgeschlossen. Keller ist Storm herzlich dankbar und schickt ihm am 1. November 1880 die vier Bändchen . Der ist tief beeindruckt: Wie viel Seiten des Lebens berührt das Buch, und wie gegenwärtig und tief ist das gegriffen, schreibt er später an Heinrich Schleiden.
Als die beiden Dichter im Frühjahr 1877 ihren Briefwechsel eröffnen, sind einige Wochen nach dem bejammernswerten Würzburg-Erlebnis mit Hans vergangen, es liegt Storm schwer im Magen, denn noch hat sein Ältester das Examen nicht geschafft. Es wird vier weitere Monate dauern. Schon seit zehn Jahren trägt Storm den Gedanken an eine Novelle mit sich herum. Zehn Jahre sind die Zeitspanne, die sein »stud. med.« bisher im Studium zugebracht hat, zehn Jahre hat der Vater den unglücklichen Lebensweg dieses Sohnes verfolgt und mit seinem Trüffelhund-Instinkt nach der Gelegenheit gesucht, dieses Thema anzupacken. Nun ist endlich der Zeitpunkt gekommen. Der immer noch auf Abwegen wandelnde Sohn hat den Dichter zögern lassen, »Carsten Curator« soll die Novelle heißen, sie ist das Parallelstück zum »stillen Musikanten«, in dem sich das Schicksal des Sohnes Karl spiegelt.
Sie dürfte im Rauhen schon zum größeren Theil zu Papier sein , schreibt er an Erich Schmidt Anfang Mai 1877. Seinem Freund Georg Lorenzen teilt er allerdings etwas später mit: Vorläufig habe ich noch einen schweren Block vor mir, der erst gewälzt sein muß . Kaum eine Novelle, die Storm nicht als schweren Block wälzt. Als er seinem Freund in Fobeslet im Juli endlich berichten kann, Hans habe sein Examen geschafft, schreitet die Arbeit munter fort, und Anfang August lässt er das Manuskript an Westermann abgehen.
Vom »Carsten Curator« möge der Freund nicht allzu viel erwarten; die Novelle ist unfrei concipirt und trotz redlichster Arbeit auch im Einzelnen nicht recht so, daß ich zufrieden sein kann, schreibt Storm an Erich Schmidt. Er richtet sich hier zwar schon auf eine mögliche Kritik ein, um sie besser ertragen zu können, aber der tiefere Grund für die eigenen Zweifel liegt in der Novelle selbst. Storm fürchtet, ihrem Thema künstlerisch nicht
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