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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Friedhofsruhe und Scheinfrömmigkeit, auch Kälte. Dem Musikmeister ist nämlich alle Wärme entzogen, sein Leben ist auf ewig erkaltet, die von ihm vorgetragene Erzählung spricht er wie unter Drogen, die ihm selber die Wärme einreden, dem Leser aber die verlogene Beseeltheit offenbaren. Aussichten auf ein besseres Leben gibt es nicht. Das Stadium der Resignation hat der stille Musikant längst hinter sich gelassen. Hat er sie je empfunden? Storm versteckt das wahre Gesicht der wichtigsten Person dieser Novelle. Er will es nicht sehen, spricht nur von seinem Kinderlächeln und nimmt nur sein wenig schönes Antlitz wahr.
    Mit Traumesaugen in seine Zukunft geschaut , so schrieb Storm an Paul Heyse und zielte damit auf das Ende des Musikmeisters Christian Valentin. Sein Tod ist auch das Ende der Novelle. Storm hat den erdichteten stillen Musikanten beerdigt, und den leibhaftigen – der dösige Junge, wie Johann Casimir einmal meinte – gleich mit unter die Erde gebracht, um sich von ihm zu befreien. Immer wieder hat Storm in seinen Briefen diesen Spruch aus dem Alten Testament gebraucht, wenn er seinem Herzen Luft machte: Dixi et salvavi animam meam [Ich habe gesprochen und meine Seele geheilt].

Trüffelhund sucht Carsten Curator
    Die schweren Wegstrecken des Lebens geht Storm leichter und beflügelter mit dem Zuspruch, der ihn von Freunden und Kollegen erreicht. Dabei hilft sein Trüffelhund-Instinkt , der ihn den Novellenstoff finden lässt und ihm das treffsichere literarische Urteil beschert, sei es Ablehnung oder Zustimmung. Es bewähren sich seine Verse erfrischend wie Gewitter / Goldene Rücksichtslosigkeiten, so im Brief an einen jungen Dichter aus Neumünster: Ich setze freilich die Grenze, wo in der Poesie sich das »Nichts« vom »Etwas« scheidet, ziemlich hoch. All die fingerfixen Versemacher wie Rittershaus, E. Scherenberg, Felix Dahn etc. etc. sind nach meiner Ansicht nichts als Anempfinder ohne eigenen Kern, wie sie jede Periode der Literatur vom Erdboden aufjagt und wie sie jedesmal beim Ende derselben verschwinden .
    Mit dem Trüffelhund-Instinkt und mit der ihm eigenen selbstbewussten Auffassung seiner Dichtungen, insbesondere der Lyrik, kann Storm eine ansehnliche Reihe bedeutender Künstler und Gelehrter um sich versammeln und mit seiner Brief- und Novellenkunst so etwas wie »Husum als geistige Lebensform« schaffen als ein Gegenstück zu der von Thomas Mann beschriebenen Lübeckischen Fassung. Fontane wird Storm hier mit seinem Stichwort von der »Husumerei« nicht gerecht. Der bildet tatsächlich ein gewichtiges Unterzentrum für geistigen Austausch in Deutschland und darüber hinaus in Österreich und in der Schweiz. Nie wieder hat es in Schleswig-Holstein Vergleichbares gegeben.
    Gern empfängt Storm die Freunde zu Hause, um ihre stärkende Wirkung hautnah zu erleben. Oft scheiden die Besucher beglückt und bereichert vom Dichter, der mit seiner lebensklugen Offenheit, mit seinem Charme und Selbstbewusstsein schnell ein Herz erobern kann. Auch der junge Friedrich Paulsen (1846–1908), Sohn armer Bauern aus dem Dorf Langenhorn zwanzig Kilometer nördlich von Husum, der später als Pädagoge und Philosoph in Berlin von sich reden macht, ist nach einem Besuch, den Ferdinand Tönnies vermittelt hat, bezaubert. Wir saßen wohl eine Stunde plaudernd oben in seinem kleinen heimlichen Stübchen. Der Mann erfüllt alle Erwartungen, die der Schriftsteller erregt hatte, ein seltener Fall. Wie klar und sinnig sehen seine hellen blauen Augen in die Welt hinaus. Wie sicher und klar klingt die freundliche Rede! Ich freue mich, daß mein Menschheitsbild um diese typische Erscheinung bereichert ist .
    Regierungsrat und Jurist Wilhelm Petersen (1835–1900) tritt 1872 in Storms Leben als Bewunderer und Wissbegieriger. Berufen fühlt er sich zum Künstler und Privatgelehrten, im Brotberuf kümmert er sich um Landwirtschaft und Fischerei in der neuen preußischen Provinz. Angestellt hatte ihn noch »Die Kaiserlich königlich. Österreichische und Königlich Preußische oberste Civilbehörde«. Er bewährt sich als kluger Ratgeber, Kritiker und treuer Freund. Petersen schreibt Gedichte und Geschichten, fertigt Skulpturen und Zeichnungen. Er besorgt in Storms Auftrag bei »seinen« Fischern auf dem Schleswiger Holm Hechte und Heringe und schickt sie nach Husum. Storms Familiensorgen sind ihm vertraut, er rät und hilft. Als Ehemann und als Vater einer Tochter und eines Sohnes schreibt er über seine Erziehung

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