Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Spekulationslust und Trunksucht, wegen seines Leichtsinns und seiner Willensschwäche das endgültige Aus. Erstickende Angst nimmt seinem Vater die Atemluft. Diese Angst ist auch Storm-eigen, er beschwört sie in seinen Briefen an die Söhne. Dem Curator aber nimmt man sie nicht ab. Der ruht schicksalsergeben in sich selber, nichts wirft ihn eigentlich aus der Bahn, immer behält er, bis zuletzt, Übersicht und Ordnung. Er trägt, was das Schicksal ihm zu tragen aufgegeben hat: Mein Herr und Gott, ich will ja leiden für mein Kind, nur lass ihn nicht verloren gehen! Er will, wie Storm, Kreuzträger sein.
In einer Sturmflutnacht erfüllt sich Heinrichs Schicksal. Storm greift hier auf die Sturmflut vom Februar 1825 zurück. Sie spielt am Ende der Erzählung die entscheidende Rolle. Das »Husumer Wochenblatt« hatte darüber berichtet, und Storm, der diesen Beitrag kennt, hält sich bei der Schilderung der Unglücksflut sehr genau an den Zeitungsbericht. Die eingefügte Meldung von einem in der Flut Ertrunkenen mag ihn bestärkt haben, das Schicksal von Carstens Sohn so zu gestalten, wie die Novelle es erzählt.
Als der seinen Vater um das zurückgehaltene Vermögen anbettelt, um den drohenden Konkurs abzuwenden, weist Carsten ihn ab, nicht nur aus Pflichtgefühl für Anna und den Enkel, sondern auch, weil er angewidert vor dem betrunkenen Sohn zurückweicht. Der verlässt das Haus, besteigt ein Boot, kann sich noch auf einen aus der Flut herausragenden Pfahl retten, schreit dort oben nach seinem Vater. Ist es wirklich Heinrich, der da schreit?
Carsten geht wie in Gefangenschaft den unabänderlichen Pfad, den auch sein Sohn gehen muss, und der Enkel weist den Weg in die Flut und zum Tod. Biologie und Vererbung, die hier dem Leben ihren Stempel aufdrücken? Selber dem in unmittelbare Lebensgefahr geratenen Heinrich zu helfen, Hilfe herbeizuholen, wird ihm versagt durch seinen Ekel vor dem Sohn und der wunderlich schicksalhaften Rede des Enkels. Keine Befreiung, die Storm an Erich Schmidt meldete, viel zu tief steckt er selber noch im Unglück seines Sohnes. Des Dichters Blick geht nicht über den eigenen Tellerand hinaus, er sucht sich mit überreicher Phantasie und staunenswerter Sprachkunst seinen schmalen Weg. Der führt ihn zum Nachbarn bis oben an die Dachluke, dort ist der Schrecken groß, und während Carsten in Ohnmacht fällt und umfällt, fällt ihm wahrscheinlich auch ein Stein vom Herzen. Befreit? Erleichtert ist er, muss man annehmen, abgetan und begraben hat er den Sohn wie den stillen Musikanten, und damit zeigt er zum zweiten Mal eine menschliche Regung und Erschütterung. Wie anders sonst wäre das bescheidene Glück zu erklären, das ihm schon kurz darauf am Ende der Novelle entgegenblüht?
Carstens Standort, der ihm den Blick freigibt auf den Kampf seines Sohnes um Leben und Tod, können wir mit großer Wahrscheinlichkeit festlegen als einen Ort auf Husums Grund und Boden. Von Nachbar Bäcker seinem Boden können sie ihn schreien hören! sagt der altkluge Enkel, der noch an Ziehmutter Brigittes Rockzipfel hängt, und Carsten eilt davon. Bäcker haben ihre Backstuben und Läden in unmittelbarer Nähe. Von der Twiete aus, wo das »Curator-Haus« stand, das Haus, das Storms Urgroßvater Feddersen gehörte und ihm als Vorbild diente, sind es nur ein paar Schritte zu Bäcker Peters in der Krämerstraße, von Storms Wohnhaus in der Wasserreihe sind es nur ein paar Schritte zum schräg gegenüber liegenden Haus des Bäckers und Konditors Friedrich Rothgordt. Noch immer liest man auf der westlichen Hauswand die verwitterten Namen »Rothgordt« und »Bäckerei und Conditorei«. Auch vom Dachboden dieser Bäckerei hätte man einen Blick auf den Hafen und die unmittelbar von der Sturmflut betroffene Umgebung.
Haus und Geschäft kommen unter den Hammer. Carsten Curators Haus, das steinerne, würde schon stehen bleiben; ein anderer Untergang seines Hauses stand ihm vor der Seele, dem er nicht zu wehren wusste . Dieser Satz muss Thomas Mann angesprochen haben, als ihm seine »Buddenbrooks« noch vorschwebten, später hat er auf die Lektüre der Novelle begeistert reagiert: Der Dichter habe in einer Erzählung von wunderbar ernster und unerbittlicher Schönheit, »Carsten Curator«, dem Elend des Sohnes und dem beklommenen Vatergewissen ein ergreifendes Denkmal gesetzt .
Carsten muss seine alten Tage in der Armeleutegegend der Stadt verleben. Aber Glück und Kitsch im Unglück: Ihn wärmen Tochter und ein
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