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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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der Leser wird Wort für Wort, Zeile für Zeile mit Spannung und Unterhaltung versorgt; energiegeladene Storm-Erzählkunst. Erich Schmidt spricht mit einem treffenden, bildhaften schweizerischen Ausdruck von Landskraft . Nicht zuletzt der spröde Buchführungston der Novelle, ganz der Ton der Vormundschafts- und Rechtspflegetätigkeit des Carsten Curator, mag diese Landskraft bewirken . Carstens Beiname »Curator« ist von seinem Beruf abgeleitet, ein Brauch, der in Storms Nordfriesland und darüber hinaus immer noch weit verbreitet ist, auch bei Christine Martensen (1867–1953), die als Neunjährige Laufmädchen bei den Storms in der Wasserreihe war. Sie holte Semmeln bei Bäcker Rothgordt schräg gegenüber und spielte Murmeln mit Storm und seinen Töchtern. Später verdiente sie sich als Kochfrau ein Zubrot, weswegen sie »Stine Kaakfru« genannt wurde. Und so nennt man Carsten Carstens nach seinem Beruf: »Carsten Curator«.
    Recht und Ordnung, Anstand und Biederkeit, Pflicht und Gewissen trägt dieser brave Mann in seinem Herzen. Wer sich ihm anvertraut, ist an der richtigen Adresse. Bezeichnend, dass Storm hier auf Sprach-Schnickschnack verzichtet; keine übertrieben anteilnehmenden Verkleinerungen wie »Näschen und »Zähnchen«, »Händchen« und »Füßchen« lässt er zu und stärkt und stabilisiert damit die spröde Prosa, die sich Wörter wie aufgesackt, auch beißenden sprichwörtlichen Humor wie alte Jungfern und Eschenstangen, die halten manche Jahre aus der Alltagswelt holt.
    Heinrich ist das Kind von Carsten und der schönen, lebenstollen und treulosen Juliane, Tochter eines in Konkurs geratenen Spekulanten. Sie stirbt im Kindbett. Heinrich hat die Schönheit der Mutter geerbt und geht auch sonst ganz nach der Mutter; im übrigen sticht die Ähnlichkeit mit dem Storm-Sohn Hans ins Auge: Er ist willensschwach und leichtsinnig, trunk- und spielsüchtig, zugleich aber ist er unwiderstehlich mit seinem gewinnenden Wesen, verbreitet Zauber, stimmt damit seine Mitmenschen günstig und hält sie ruhig. Kommt er überraschend zur Tür herein, dann spielt er den Macho, ruft Mannshand oben! und hat die lachende Zuneigung auf seiner Seite. Obendrein stellt er sich damit in den Dienst unfreiwilliger Stormscher Ironie; denn anders als Mannshand oben kann Storm sich das Verhältnis zwischen Mann und Frau nicht vorstellen. Das lässt er durchblicken, als das Mündel Anna gegen Carsten aufbegehrt. Gegen meinen Willen, Anna? Das wirst du nimmer tun .
    Carsten wohnt nach Julianes Tod mit seiner im Christenglauben lebenden Schwester Brigitte zusammen unter einem Dach; sie spinnt und strickt wie Storms Ehefrau Doris, sie betreibt ein kleines Wollgeschäft. In beider Obhut wächst der Knabe auf. Dann kommt noch das Waisenkind Anna ins Haus, Carsten hat die Vormundschaft übernommen. Das Mündel bringt neben seiner Schönheit noch ein ansehnliches Vermögen mit; die Kinder Heinrich und Anna wachsen auf wie Bruder und Schwester.
    Heinrich, anders als Hans, wird vom Vater nicht auf die Universität geschickt, sondern er steckt ihn in einen kaufmännischen Beruf. Vom Kaufmannsgehilfen, dem »Commis«, hält Storm eigentlich nicht viel, für einen Storm-Sohn kommt er weder als Beruf noch als gesellschaftlicher Umgang in Frage. An Karl, den späteren Musiklehrer in Varel, schreibt er: Handlungscommis einer kleinen Stadt u. dgl., so gut die Leute sein mögen, dürfen nicht deinen Umgang bilden . Heinrich hat so wenig zu sagen wie ein Kaufmannsgehilfe. Der Dichter lässt ihn kaum zu Wort kommen; was er sagt, klingt nach Sprichwort oder wie in den Mund gelegt.
    Bruder Leichtfuß lässt sich nicht lange auf die Probe stellen. Als Gehilfe eines hiesigen Senators und vermögenden Kaufmanns veruntreut er einen Batzen Geld; er verliert hundert Taler im Glücksspiel. Damit nimmt das Unglück seinen Lauf, aus dem Heinrich aber immer wieder herausgerissen werden kann. Vater »Curator« hilft aus der Patsche mit dem Vermögen seines Mündels Anna, und Anna will ihrem Stiefbruder helfen und gibt mit vollen Händen. Bald aber rettet ihn nur noch Annas Liebe; sie lässt sich von ihm heiraten und bringt ihr Vermögen in die Ehe. Das schöne, ungleiche Paar betreibt gemeinsam ein Geschäft in der Stadt, Annas Vermögen wird nach und nach aufgezehrt, bis auf einen letzten Rest, den der rechtschaffene Curator für Anna und den inzwischen geborenen Enkel zurückhält.
    Doch das Leid lässt sich nicht abschütteln. Schon droht wegen Heinrichs

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