Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
mit seiner Rede los, die ihm Rektor Friedrichsen freundlich und ohne Korrektur zurückgab. Das hatte Storm schon gehoben, nun hoben ihn Musik und Stille, Publikum und die eigene Rede. Vielleicht hob ihn noch mehr, vielleicht der Blick einer Dame, die ihn anhimmelte, weil sie seine leuchtenden, blauen Augen so mochte.
Lübeck, Kiel und Berlin
1835–1842
Von den Buddenbrooks zu Bertha von Buchan
In den »Lübeckischen Anzeigen No. 80« vom 8. Oktober ist zu lesen: Angekommene Fremde. Vom 3. bis 5. Octbr.: Hr. Adv. Storm, und die Herren Storm und Ohlhues, Particüliers [Privatleute], von Husum. Vater Storm begleitet den Sohn und Peter Ohlhues aus Hattstedt, den zwei Jahre älteren Freund und Mitschüler von der Husumer Gelehrtenschule. Der hatte nach dem frühen Tod seines Vaters zweimal in der Woche einen »Freitisch« im Hause Storm. So manchen Theaterabend haben die beiden vorbereitet und gestaltet, und manchen Blödsinn auch.
Hätte Vater Storm seinen Kutscher Thomas Ingwersen genommen, dann wäre der in der Lübecker Fremdenliste mit Namen und Beruf aufgeführt worden. Aber der wurde zu Hause gebraucht, um die große Familie mobil zu halten. Vermutlich hatte Vater Storm eine Extrapost gemietet, da war man unter sich und vermied lästige Nähe mitreisender Fahrgäste. Die Post garantierte, je nach Wetter und Rastwunsch, Übernachtung und Frühstück in den Poststationen; sie versprach eine Mindestgeschwindigkeit sowie bevorzugte Bedienung beim Pferdewechsel. Der Weg von Husum nach Lübeck führte über Rendsburg. Rendsburg war zu dieser Zeit eine gewaltige Militärfestung mit einem Stadtkern und viel Wasser darum herum. Nach Kopenhagen war Rendsburg die größte Festungsstadt im dänischen Gesamtstaat, die Eider-Bastion an der schleswigschen Südgrenze des Königreichs. Von der dreigeteilten Festungsanlage ist heute kein Krümel mehr sichtbar. Der alte Hafen mittendrin wurde zugeschüttet und ist nun ein großer gepflasterter Platz; Mauerreste der alten Verteidigungsanlage findet manchmal noch ein Bagger bei Tiefbauarbeiten.
Schließlich erreichte man Lübeck. Reisende, die sich von der höheren, westlichen Warte näherten, schauten hinunter auf die Stadt im Travetal, bei klarem Wetter hatten sie die mächtigen backsteinroten Kirchtürme im Auge. Erste beeindruckende Bilder von der großen Hansestadt. Was war da schon Husum?
1835, als Storm Lübeck zum ersten Mal betritt, beginnt die Zeit der »Buddenbrooks«: Der alte Johann Buddenbrook, der Storm an seinen Vater hätte erinnern können, ist ein erfolgreicher, vermögender Geschäftsmann, überzeugt von der Kunst des Maßhaltens, gebildet und selbstbewusst, Gartenliebhaber und Flötenspieler, vornehmer Bürger der Hansestadt, Patron einer angesehenen Familie, die das Schicksal langsam und sicher über vier Generationen und in einem Zeitraum von gut vierzig Jahren in den Untergang führt. Verfall einer Familie – seit den Buddenbrooks ist das ein geflügeltes Wort, gültig auch für Storms Familie, für deren Ahnen und Urahnen. Werk und Schaffen Theodor Storms lassen sich als der Höhepunkt einer über Generationen durch tüchtiges Kaufmannsgeschick erworbenen gesellschaftlichen Achtung und Bedeutung der Storms und Woldsens und Feddersens begreifen. Am Ende seines Lebens schafft der Künstler Storm unter der Herrschaft eines grausam wütenden Krebsleidens und angesichts der eigenen Familientragödie sein größtes, bedeutendstes Werk, den »Schimmelreiter«: Roman vom Verfall und Untergang einer Familie. Schicksalhaft und zentral über allem steht nun ein Satz aus der Novelle »Aquis Submersus« (1876) wie ein Resümee des göttlich beseelten Erzählers Hiob, der gleichzeitig Zukunft und Vergangenheit sieht: Es ist alles doch umsonst gewesen. Theodor Storm stirbt kurz nach Vollendung seines großen Werkes, und während seine Gedichte und Erzählungen sich unter den besten der deutschen Literatur behaupten, sinkt seine Familie, Frau, Kinder und Kindeskinder, ins gesellschaftliche Mittelmaß, landet in Bedeutungslosigkeit und Entbehrung, in Verruf und Unglück.
Thomas Manns Roman »Buddenbrooks« beginnt mit der Schilderung eines Familienfestes. Je, den Düwel ook, sagt gleich zu Anfang Familienoberhaupt und Großvater Johann Buddenbrook. Auch die feinen Lübecker Großstadt-Leute sprechen Platt, sie unterscheiden sich von den feinen Husumern vermutlich dadurch, dass sie öfter französische Brocken fallen lassen, denn »Monsieur Johann Buddenbrook«
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