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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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fährt nach dem Platt in fehlerfreiem Französisch fort: c’est la question ma très chère demoiselle! In dieser Familienfest-Atmosphäre tritt auch auf Herr Jean Jacques Hoffstede, der Poet der Stadt, der sicherlich auch für den heutigen Tag ein paar Reime in der Tasche hatte.
    Thomas Mann hat in der Figur des Jean Jacques Hoffstede den Lübecker Dichter Emanuel Geibel (1815–1884) verewigt, der für Storm in seiner Lübecker Zeit und darüber hinaus noch bis an sein Lebensende eine besondere Bedeutung haben sollte.
    Zu Michaelis, im September 1835, bezieht Storm das Lübecker Gymnasium, das Geibel eben verlassen hat, um in Bonn Theologie und Klassische Philologie zu studieren. Storm begegnet Geibel während seiner Lübecker Zeit, wenn dieser in den Semesterferien nach Hause zu Eltern und Freunden kommt. Storm und die Freunde um Geibel besuchen dann das Theater und den Weinkeller und unternehmen Ausflüge in die Dörfer um Lübeck herum.
    Emanuel Geibel war das siebente von acht Kindern einer Lübecker Pfarrersfamilie. In der Heimatstadt verehrte man Emanuel schon in seinen jungen Jahren als heiliges Genie. Eine Zeichnung von Otto Speckter zeigt den Achtundzwanzigjährigen mit langem, bis auf den Kragen fallendem, attraktiv gekämmtem Haar, großen Augen, großer Nase und sinnlichem Mund; ein schöner Mann. Storm und sein 1884 verstorbener Antipode blieben nach der gemeinsamen Lübecker Zeit im Briefkontakt, sie bewahrten das vertraute »Du« aus der Jugendzeit. Trotz der freundschaftlichen Briefe, die hin- und hergingen, trotz gegenseitiger Wertschätzung war der hoch angesehene, berühmte und erfolgreiche Lübecker Ehrenbürger und Dichter Storm lebenslang ein Dorn im Auge. Storm konnte nie verwinden, dass die zeitgenössische Literaturkritik seinen Kollegen für bedeutender hielt und dieser einen Publikumserfolg hatte, von dem Storm nur träumen konnte. Geibels Gedichtbände erzielten viele Auflagen.
    Heute ist der Lübecker Dichter fast vergessen. Unvergessen ist sein Schlager »Der Mai ist gekommen«. Fast vergessen, kaum bekannt: Geibel hat sich in seinem Gedicht »Deutschlands Beruf« (1861) die später zu Recht berüchtigten Worte Und es mag am deutschen Wesen / einmal noch die Welt genesen ausgedacht. Abgesehen von der missbräuchlichen späteren Verwendung sind diese Worte Ausdruck der Tragik Geibels, der wie Storm in Volkslied und Volkssprache seinen Sing- und Gesangton sucht, aber im Gegensatz zu Storm ein Meister der reinen Eleganz bleibt, die oft nicht hält, was sie verspricht. Sechs Tage nach Geibels Tod notierte Storm in seinem »Braunen Taschenbuch«: Die Form war dir ein goldner Kelch, / In den man goldnen Inhalt gießt, / Die Form ist nichts, als der Kontur, / Der einen schönen Leib beschließt. Nie erreicht Geibel in seinen Gedichten Storms leuchtende Kraft, die bebende Temperatur und lupenreine Originalität, die den Husumer in die erste Reihe der deutschsprachigen Lyriker hebt.
    Im Katharineum waren es die pädagogische Leidenschaft und Hingabe der Lehrer, insbesondere die von Friedrich Jacob und Johannes Classen (1805–1891), die Storm beeindruckt, inspiriert und motiviert haben. Jacob war auch außerhalb der regulären Schulzeit für seine Schüler da, er lud sie zu sich nach Hause ein, da wurde fortgesetzt und vertieft, was in Griechisch und Latein zur Debatte stand. Man las Theokrit und disputierte über das Gelesene in lateinischer Sprache . Während der Wintermonate veranstaltete Jacob außerhalb der Schule Sprech- und Musiktheater mit den Schülern der oberen Klassen und bat Eltern und Schüler, Lehrer und Freunde dazu.
    Auch Classen lud seine Schüler ein, er bat sie zum Tee. Man las und erörterte deutsche Dramen, und Storm bewunderte und liebte diesen Mann noch lange über die Lübecker Zeit hinaus. Ein Aquarell des bedeutenden Lübecker Malers und Zeichenlehrers am Katharineum, Carl Julius Milde (1803–1875), vermittelt die Atmosphäre im Hause Classen zur Zeit der »Buddenbrooks«. Es zeigt das mit Biedermeiermöbeln ausgestattete Wohnzimmer der Familie. Der verehrte Lehrer steht als Hauptperson im Hintergrund; trotzdem hat Milde ihn herausgehoben, denn mit seinem schon gelichteten Haarschopf überragt er alle anderen Personen.
    Maler Milde war auch regelmäßig Gast im Hause des wohlhabenden Handelsherrn und schwedischen Konsuls Christian Adolf Nölting (1794–1856) und seiner Frau Henriette (1800–1888), einer Hamburgerin. Das große, mehrstöckige Backsteinhaus stand in

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