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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Mutter, und beide Frauen konnten mich erst nach langer Zeit beruhigen.
    Seltsam übrigens, daß ich meine Mutter, obgleich ich sie erst vor vier Jahren verlor, später niemals an diese Geschichte erinnert habe.
    Lieber Paul, der Fall mit Dir liegt ähnlich; Du bist ebenso gut wie meine Mutter; aber Du überschüttest mich jetzt so mit Güte, daß ich trotz meiner reiferen – ach sehr – Jahre auf ähnliche schwarze Gedanken komme: Du willst mich nicht ermorden; nein, so kindisch bin ich nicht mehr, so etwas zu glauben; aber – Du hast es vor, mich zu verlassen . Thu das nicht, mein lieber Paul! Dein alter Th Storm
    Angst vor dem Einsam-und-Verlassen-Sein plagte Storm wie die Angst vor Krankheit und Tod sein Leben lang. Er brauchte liebende, körperliche Nähe, um nicht seiner Angst ausgeliefert zu sein. Fehlte diese Nähe, dann flüsterte er sich heidnisch ein: Wenn dir etwas Gutes widerfährt, dann wirst du dafür bezahlen müssen, schlimmstenfalls mit dem Tod.
    Auf Paul Heyse muss dieser Brief wie eine Zumutung gewirkt haben, er reagierte kurz und bündig: Da du aber, wenn ich so fortschwiege, am Ende noch glauben möchtest, es sei etwas daran mit »Ermorden« oder »Verlassen«, so will ich jedenfalls in aller Kürze zu Protokoll geben, dass Nichts derart von mir zu befürchten steht. Storm kam auf diese Kindergeschichte noch einmal am 2. Mai 1883 zurück, nahm ihr zwar Wind aus den Segeln, ließ sich aber immer noch vom Tod über die Schulter schauen: w enn ich von »Verlassen« sprach, so wollte ich meine »Besorgniß« ausdrücken, dass Ihr die freundliche Absicht, diesen Sommer auf einen reellen Logirbesuch zu uns zu kommen, könntet aufgegeben haben was mir bei der Unsicherheit und voraussichtlichen Kürze meines noch übrigen Lebensrestes bitter leid sein würde .
    Am Ende seiner Husumer Schulzeit schlug Storms stets hin und her schwingendes Stimmungspendel vermehrt ins Positive aus. Ein neuer Lebensabschnitt stand bevor. Vater Storm hatte für den Sohn das Katharineum in Lübeck als weiterführende Schule für die nächsten eineinhalb Jahre im Auge. Der junge Storm winkte schon aus einer Kleinstadt mit 3800 Einwohnern einer Großstadt mit 25 000 Einwohnern zu. Die Gelehrtenschule stellte ein Abschlusszeugnis aus, weil Storm und sein Freund Johann Peter Ohlhues darum gebeten hatten. Rektor Friedrichsen lobt in seinem Zeugnis vom 30. September 1835 ihr sittliches Betragen und erklärt : Sie sind von Natur mit guten Anlagen ausgerüstet und haben sich durch ihren Fleiß gute Kenntnisse in den gewöhnlichen Schulwissenschaften, namentlich in den alten Sprachen, erworben. Mögen sie denn durch fortgesetzten Fleiß und ferneres gutes Betragen sich der Liebe ihrer künftigen Lehrer in eben dem Grade würdig zeigen, wie sie sich die meinige zu erwerben gewußt haben.
    Dass Storm ein Poet war, wussten die Lehrer längst. Zur Feier des Schulabschlusses wurde er mit der Aufgabe betraut, Mattathias, den jüdischen Priester und Anführer des Aufstandes gegen Antiochus IV., zu »besingen«.
    Storm saß im elterlichen Garten und bereitete seine Rede im Jamben-Versmaß vor. Ein schöner Septembertag muss es gewesen sein. Storm dichtete los: O Söhne Judas, rächt der Väter Schmach! , so lautete der erste Vers, an mehr erinnert sich der Dichter nicht.
    Und endlich kam der große Tag , schreibt Storm in seinem Erinnerungsstück »Der Amtschirurgus – Heimkehr«. Er wurde im Rathaussaal begangen, weil die Gelehrtenschule keine Aula hatte, die das interessierte Publikum hätte beherbergen können. Draußen begannen die Vorbereitungen für den Michaelis-Markt. Drinnen, vor dem geschmückten Katheder saßen in den ersten Reihen festlich gekleidete junge und ältere Damen, die Männer hatten hinter den Damen Platz genommen. Hier sollten die entlassenen Gelehrtenschüler in einer Rede noch einmal vorführen, was sie gelernt hatten, was in ihnen steckte und zu welchen Hoffnungen sie Anlass geben mochten.
    Musik begleitet das feierliche Geschehen. Storm hat sich für seine Mattathias-Rede einen Marsch als Ouvertüre bestellt. Anstiftung zu Begeisterung und Gemeinsamkeit, Erhaltung, wenn möglich Steigerung der Kampfkraft, das soll Musik hier leisten. Nach einem heroischen Akkord , dem Tusch, tritt der junge Poet vor. Der Tusch in der Musik ist der Doppelpunkt in der Sprache: Und oben auf dem Katheder stand ich in dem lautlosen Saale, die erwartungsvolle Menge unter mir . Jetzt noch eine effektvolle Pause, dann legt Storm

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