Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
müssen zusammenfallen. Storm spricht vom Naturlaut in künstlerischer Form ; im Vorwort seines »Hausbuchs« betont er den Naturlaut als das leitende Prinzip der Poesie. Wer den nicht hineinzulegen versteht, dem wird kein Gedicht gelingen.
Auch Gottfried Keller hat einen schweren Stand unter den kritischen Augen seines Husumer Kollegen; der hält seine Gedichte für Tagebuchblätter : G. Keller’s Gedichte scheinen mir allerdings Sachen eines bedeutenden Menschen, aber wenige sind selbst bedeutend. Trotzdem werthvoll für den ganzen Menschen, heißt die Meldung an Erich Schmidt. Keller erhält auch diesbezüglichen, persönlichen Bescheid; Storm schickt voraus, er sei im Punkt der Lyrik ein mürrischer griesgrämiger Geselle. Neben Lob spendet er seinen Tadel, der kommt immer ein wenig von oben herab und mit einem »Ja, aber«. Storm spricht in altbekannter Art wie der Lehrer zum Schüler: In den beiden ersten Gedichten, namentlich im ersten, scheint mir der Funken nicht recht herauszukommen. Dass Keller seinen Antwortbrief überschreibt mit Lieber Freund und Richter kommt sicher nicht von ungefähr, er verliert weder Nerven noch Humor und dankt für die wohlthätigen kritischen Bemerkungen .
Keller nimmt Heyse später Storm gegenüber in Schutz, und in diesen Schutz nistet er sich auch selber ein: Ihre Idee vom Lyrischen theile ich allerdings nur sehr bedingt . Auch Heyse, der Storms fleißig und freundschaftlich erarbeitete Kritik dankbar zur Kenntnis nimmt, wehrt sich: Der Lyrik aber ziehst Du doch wohl zu enge Grenzen, Liebster, wenn Du sie auf Naturlaute der Seele beschränken willst. Es ist, als wolltest Du nur die Gewächse zu den Blumen rechnen, die Duft haben, wobei Georginen, Astern, Sonnenblumen, Kamelien u. andere Kinder Gottes übel wegkämen, oder als Wein nur anerkennen, was eine Blume hat. Wie viel leidenschaftliche Confessionen starker und tiefer Herzen klingen durch die Welt und rühren an unser innerstes Empfinden, ohne daß man jenes »Tirili« in ihnen zu entdecken vermöchte!
Dass der strenge Storm in dieser Zeit der Beschäftigung mit Heyse, Keller und Meyer gerade seinen jüngeren Kollegen Wilhelm Jensen so hervorhebt, verwundert allerdings: Der einzige jetzt lebende echte Lyriker, so weit mir bekannt, dem nichts fehlt, als die geduldende Freude an völliger Vollendung des Gedichtes, ist W. Jensen. Immer wieder nehme ich seine Bücher mit Versen in die Hand und sehe in diese Tiefe und diesen Reichtum. Warm, wie duftschwerer Sommer kommt es mir daraus entgegen.
Von Grieshuus zu den Königskindern
Storm selber hat sich längst als Lyriker verabschiedet. Anlässlich der 7. Auflage seiner Gedichte, die 1885 bei den Gebrüdern Paetel in Berlin erscheinen, schreibt er an Gottfried Keller: Neues von Werth kommt leider nicht hinzu. Meine Novellistik hat meine Lyrik völlig verschluckt . Die letzte, davon einschneidend geprägte Erzählung ist »Aquis submersus«. In der starken Mischung von epischem und lyrischem Erzählen liegt das Geheimnis ihres Zaubers; in den späteren Novellen hat Storm diese Mischung nie wieder so erreicht. »Aquis submersus« zeigt schon deutlich die weitere Entwicklung seiner Novellenkunst an: Hinwendung zum Chronikalischen und Historischen. Damit erreicht er eine weit zurückliegende Vergangenheit, dort kann er sich einigeln, abschotten und erholen von der Gegenwart. Atempausen, die des Dichters Leben stärken und stabilisieren; aber immer wieder, noch bis zuletzt, holt ihn die peinigende Gegenwart ein. Unmissverständlich und nachdrücklich tritt sie mit Krankheit und Tod an ihn heran und verlangt: Ich will von dir mit deiner Kunst bearbeitet werden.
Mit seiner »Chronik von Grieshuus« kann Storm wieder einmal wegtauchen. Das Gegenwartsstück , die Novelle »Schweigen«, geht ihm schwer aus der Feder, auch sie ist ein misslungenes Stück, der Dichter spürt das: wieder verfluchte psychologische Diftelei , schreibt er an Wilhelm Petersen. Mit der neuen, längeren Arbeit kann er sich auch beruhigen über den frechen Juden Ebers , der angeblich auf die Novelle als Spielwiese und Erholungsort herabsieht, weil sie viel kürzer sei als der angeblich Roman, also entsprechend weniger Atem und Zeit verbrauche. Hat Ebers etwa nebenbei bewirkt, dass Storm mit einem Jetzt gerade! die romanhafte Erzählung »Grieshuus« und die letzte große, den »Schimmelreiter«-Roman, schaffen kann, seine längsten, besten und schönsten Prosawerke? Wie um dem lästigen Kollegen zu zeigen,
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