Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Franzosen oder Deutsche, Schweizer inbegriffen, rechnen kann.
Über den Verriss, mit dem Keller Storms Erzfeind Gottschall bewertet, wird sich Storm diebisch gefreut haben. Ob er auch den Seitenhieb mit dem einzig wahren Jakob bemerkte? Bezeichnend, dass Storm nach dieser entschiedenen Klarstellung das Thema nie wieder berührt. Als Antisemiten wird Keller sich seinen Husumer Briefpartner nicht gedacht haben; aber das musste gesagt werden.
In Storms Gedichten und Novellen erscheint jüdische Thematik nur am Rande als vorbeihuschendes Bild, wie zum Beispiel in der Novelle »Beim Vetter Christian«. Dort weiß die tüchtige Haushälterin Karoline verschämte Bettler und unverschämte in Wein reisende Juden schon auf dem Hausflur abzufangen . Und in »Eekenhof« heißt es über zwei Knaben: Es sind zwei untersetzte, kurzbeinige Buben gewesen; trotz des Vaters mit schier rotbrandigem Haar, wie auch nach einem schwarzen Juden mitunter wohl ein Rotkopf aufzustehen pflegt . Neben diese anekdotenhaften Bilder stellen sich aber auch Szenen, die Storms Interesse und seinen Respekt vor jüdischem Denken bezeugen, ja er hat es verinnerlicht und gewinnt daraus wichtiges Arbeitsmaterial, wie für die im Heiligenstadt-Exil geschriebene Novelle »Unterm Tannenbaum«. Dort, zum Schluss, steht der Amtsrichter Weihnachtsabend mit seiner Frau am offenen Fenster. Weithin dehnte sich das Schneefeld; der Wind sauste; unter den Sternen vorüber jagten die Wolken. Der Amtsrichter spricht von der Heimat und will den Namen nicht nennen; er wird nicht gern gehört in deutschen Landen; wir wollen ihn still in unserm Herzen sprechen, wie die Juden das Wort für den Allerheiligsten .
Mit dem Gedicht »Das hohe Lied«, das zuerst 1843 im Liederbuch dreier Freunde abgedruckt wurde, bedient Storm allerdings ein von ihm gern gebrauchtes Klischee.
Das hohe Lied
Der Markt ist leer, die Bude steht verlassen,
Im Winde weht der bunte Trödelkram;
Und drinnen sitzt im Wirbelstaub der Gassen
Das schlanke Kind des Juden Abraham.
Sie stützt das Haupt in ihre weiße Hand,
Im Sturm des Busens bebt die leichte Hülle;
Man sieht’s, an dieser Augen Sonnenbrand
Gedieh der Mund zu einer Purpurfülle.
Die Lippe schweigt, die schwarzen Locken ranken
Sich um die Stirn wie schmachtende Gedanken.
Sie liest vertieft in einem alten Buch
Von einem König, der die Harfe schlug,
Und liebefordernd in den goldnen Klang
Manch zärtlich Lied an Zions Mädchen sang.
Storm beginnt, indem er den ersten Vers seinem geliebten Eichendorff hinterherdichtet, bei dem es im Gedicht »Weihnachten« im ersten Vers heißt: Markt und Straßen stehn verlassen . Dann ist Storm schnell beim Klischee von der Sinnlichkeit und Lüsternheit jüdischer junger Mädchen. Dass in diesen Versen gerade das schlanke Kind des Juden Abraham »dran« ist, spielt keine Rolle, es hätte auch das schlanke Kind eines böhmischen oder slowakischen Handelsreisenden sein können; diese Kindfrauen bergen für Storm denselben Reiz. Nur einmal ist Storm mit dem »Lied des Harfenmädchens« ein Gedicht gelungen, das seinen Stoff diesem Menschenschlag verdankt und ihn großartig bedichtet. Warum gelungen? Der Dichter versetzt sich dort in die Lage der jungen Frau und lässt sie erzählen, wir hören ihr zu. Hier aber ist der junge Dichter mit seinen Blicken auf Treibjagd, seine lüsternen Gedanken tragen das Gedicht, die daraus folgenden Verse sind eine schlechte Karikatur des einzigartigen »Hohelieds« von König Salomon, das Storm damals nicht begriff und so verketzerte. Ein paar Jahre später, als Verlobter, liebte er das Hohelied, war hingerissen, zitierte daraus seiner Constanze mit großer Begeisterung. Storms Haltung zum Judentum lässt sich aus diesem Gedicht nicht herauslesen, wohl aber, wie er das Judenthema missbraucht.
Juden begegneten Storm schon während der Kindheit in Husum, wo sie als reisende Kaufleute oder als Pferdehändler auftauchten. In Friedrichstadt, wo Storms Tante Lene reich eingeheiratet hatte, gab es seit dem 17. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde; dort gehörten die jüdischen Mitbürger selbstverständlich zum Straßenbild; erst die Nationalsozialisten machten dem ein Ende mit Enteignung, Vertreibung und Vernichtung. In seiner autobiographischen Erzählung »Der Amtschirurgus – Heimkehr« setzt Storm einem jüdischen Tuchhändler aus Friedrichstadt ein rührendes Denkmal. Der hatte Storms Ansprache bei den Abschlussfeierlichkeiten zum Ende der Schulzeit gehört, als junger
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