Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Vater Johann Casimir den seinen auf Sohn Theodor weitervererbte, scheint am Ende besiegt. Versöhnlichkeit, bei allem Spott und Spiel, auch gegenüber dem Gift in den Adern der Nation , Kirche und Adel. Die Novelle verteidigt die Kirche gegen den Adel und den Adel gegen das Stormsche Vorurteil: Das ist Storms große Leistung. Mit dem Junker Hinrich, dem Brudermörder, schafft er eine durch und durch sympathische Gestalt, Magister Caspar Bokenfeld mit seiner von biblischer Weisheit schön durchzogenen Rede, das ist Storm, wie er denkt und redet, nur ein wenig verkleidet.
Als Kostbarkeit durchwebt die ganze Erzählung der seltene Hauch herzhaften Humors und leiser Ironie. Das gibt dieser Tragödie von der Auslöschung einer Familie und dem gleichzeitigen Passionsspiel von der zärtlichen großväterlichen Liebe das Unvergessliche. Man liest dieses Stück mitgerissen und gespannt in einem Zug, beglückt von seiner poetischen Kraft, bezaubert von seiner erzählerischen Anmut und Raffinesse. Beglückt ist auch der Autor selber; an seine Töchter Lucie und Elsabe, die sich in Wörth um Hans, den Trinker, kümmern und das Fest mit ihm verbringen werden, schreibt er: Mein »Grieshuus«, das Weihnachten Euch allen kommen wird, genießt großen Ruhm, was mir sehr lieb ist .
»Ein Fest auf Haderslevhuus«
Mitte April 1885 verweilt Storm in der Mitte des 14. Jahrhunderts . Die Arbeit an seinem »Fest auf Haderslevhuus« ist in vollem Gange. Storm taucht noch tiefer in die Jahrhunderte ab, in die Zeit dreihundert Jahre vor Grieshuus. Wieder eine Liebesgeschichte; diese gehört, mit Erich Schmidts Worten gesagt, zu den ( im Resignationsstil geschriebenen) oft über einen Leisten geschlagenen Novellen; nichtsdestoweniger lobt er aber »Haderslevhuus«. Schmidts Lob ist schwer nachzuvollziehen. Die schöne, Bericht erstattende Prosa, die den Leser immer wieder einfängt, wie die Schilderung der durchs Land ziehenden Pest, nützt hier dem »Wie« nichts. Manchmal geht die Erzählung etwas wirr durcheinander, so dass der Leser sich fragt: Wer ist gestorben und wer lebt noch? Das zentrale Geschehen klappert noch einmal das altbekannte Muster der Stormschen Liebesgeschichten ab: »Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß, als heimliche Liebe von der niemand nicht weiß«. Der Konkurrenzkampf der älteren, falschen Wulfhild mit der jüngeren, edlen Dagmar ist mit »femme fatale« gegen »femme fragile« beschrieben worden, aber auch diese Deutung rettet die Novelle nicht.
»Nimm! So nimm doch liebster Mann!« hauchte das Kind und bot ihm ihre roten Lippen . Ja, was soll der liebste Mann wohl nehmen? Er soll die jungfräuliche »Mädchenknospe« Dagmar pflücken, sprich: ihren Körper nehmen und den Beischlaf vollziehen. Wäre dieses nicht der Höhepunkt eines langsam entwickelten erotischen Edelkitsches, dann hätten wir hier Pornographie aus dem Geiste Storms.
Dagmar ist so alt wie Bertha von Buchawas, als sie seinen Heiratsantrag ablehnte, ihn damit verstieß und ihm den Schmerz seines Lebens zufügte. Dagmar ist so alt wie Doris Jensen, als Storm sich in sie verliebte und sie sich ihm bedingungslos unterwarf. Dagmar spielt die Kind-Rolle vollkommener Unterwerfung und lässt Junker Rolf, den Bäumekletterer, der Storm selber in seiner Jugend war und den wir schon aus »Aquis submersus« kennen, in ihr Liebesnest.
Die Pappel, die Junker Rolf benutzte, um ins Schäferstündchen zu gelangen, wird gefällt. Dagmars Tod ist damit besiegelt, ihre letzten Worte: Lad ihn zu meiner Leiche, Vater . Die Einladung zu Dagmars angeblichem Hochzeitsfest ist ein groß angelegtes Täuschungsmanöver des rachedurstigen Vaters. Junker Rolf tappt in die Falle. Auf die Warnung des Ratgebers und Faktotums Gaspard hört er nicht, denn: Und wenn auch in den Tod, ich muß ! Dies Kind hat mir die Seele ausgetrunken . Er ahnt also Böses, dann sieht er Dagmar aufgebahrt im Festsaal von Haderslevhuus, er bahnt sich seinen Weg durch die Menge, stürzte sich über den Sarg und preßte seine Lippen auf das tote Antlitz seiner Liebe: »O Dagmar, das ist unsere Hochzeit!« Kampfgetümmel folgt auf die Totenschändung. Junker Rolf haut um sich und hebt mit jähem Griff die Tote aus der Lade . Und nun beginnt eine wilde Jagd, der Junker flieht mit der Toten im Arm durch Hallen und Gemächer, bis er schließlich auf dem Flachdach eines Burgturmes steht.
Paul Heyse, der den Entstehungsgang der Novelle schon früh begleitet, spart sich seine Kritik bis zuletzt
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