Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Inhalt gießt, / Die Form ist nichts, als der Kontur, / Der einen schönen Leib beschließt . Trauer, Erschütterung liegen nicht in seinen epigrammatischen Versen. Schwach ist der Ton einer Abrechnung herauszuhören. Ein lästiger Konkurrent weniger? Dieser Gedanke, der so manchem Poeten durch den Kopf geht, wenn ein Kollege gestorben ist, wird nichts nützen, denn der Name Geibel ist in aller Munde. Er wird posthum noch ein wenig weiter leben, seine Gedichtbücher werden sich weiterhin besser verkaufen als die von Storm.
Paul Heyse hat ein Gedicht »An Emanuel Geibel« geschrieben, es ist 212 Verse lang: Nun hebt alsbald um den vielteuren Mann / Die Totenklage tausendstimmig an.
Theodor Storm: G. kommt mit gewaltig viel Geräusch zu Grabe .
Gottfried Keller: Nun ist der edle Geibel auch dahin, der nicht ohne heiligen Ernst, aber auch nicht ohn ein wenig überschüssiges Pathos gelebt hat .
Theodor Storm: Das ist richtig; aber eben deshalb konnte G. auch kein Lyriker ersten Ranges sein . Storm wendet sich an Gottfried Keller: Den Menschen habe ich allzeit hochgestellt, den Dichter nur sehr bedingt anerkennen können; ich gebe nicht mein »Oktoberlied« für seine ganze Lyrik .
Erich Schmidt: Ihre Eigenliebe ist verletzt .
Theodor Storm: Ja, auch das ist dabei. Man klagt über den Tod des letzten Lyrikers, und weiß nicht, oder ignorirt, daß Einer lebt, der wirklich der Letzte war . Storm wendet sich an den Literaturhistoriker Alfred Biese: Der letzte Lyriker bin ich .
Professor Wilhelm Scherer, der Lehrer von Erich Schmidt: Ja, gewiß; wäre Geibel nicht vielfach trivial, so wäre er nicht populär. […]. Gegen Stormsche Lieder kann freilich die ganze Geibelsche Lyrik nicht von ferne aufkommen .
Theodor Storm: Eine kleine Genugthuung (…) Es scheint an meiner Persönlichkeit zu haften, daß dergleichen die Literaturhistoriker sich nur im Kabinett von Ohr zu Ohr zuflüstern .
Der Stachel Geibel sitzt tief und fest. Dass dieser Dichter die Form nicht mit dem richtigen Inhalt zu füllen vermochte, ist der poetische Mangel. Unverdient deswegen der Erfolg, der sich im Vergleich der Auflagen Storm/Geibel zeigt. Das wird den Husumer Dichter bis zuletzt peinigen.
Seines Ranges als Lyriker war Storm sich schon früh bewusst; er hat ihn auch mit Stolz und Selbstverständlichkeit nach außen vertreten. Als 1868 die erste Gesamtausgabe bei Westermann erscheinen sollte und die großen, wichtigen Novellen noch in ferner Zukunft lagen, meinte Storm, er dürfe als Lyriker den Anspruch erheben, daß von denen, die in dem letzten Vierteljahrhundert in die Literatur eingetreten sind, er der einzige sei , der in seiner Totalerscheinung in Betracht kommen kann und dauernde Spur getreten hat .
Die Spur, in der Storm geht, haben die Dichter Claudius und Goethe, Uhland und Eichendorff, Heine und Mörike gelegt. Mit dem »Erlebnisgedicht«, das diese sechs in die Literatur trugen, bezieht Storm Stellung, damit zieht er aber auch die Grenze seines Lyrik-Verständnisses. Der »Perpendikelanstoß« aus dem lebendigen Leben müsse dagewesen sei, um ein Gedicht zu schreiben, das diesen Namen auch verdiene. Selbstverständlich muss der Gedichte-Leser dieses Dichter-Erlebnis auch nachvollziehen können, sonst wäre es nur mangelhaft verwertet worden und das Gedicht wäre kein Gedicht. Ob aber der Leser dieses Allererste selber mitfühlen kann oder nicht, hängt ab vom alles entscheidenden »Wie«: von der Kunst des Dichters.
Auch die Dichtkunst seiner Freunde und Kollegen betrachtet Storm mit empfindlichen Augen. Er wählt streng aus. Paul Heyse bittet ihn um helfenden Sachverstand bei der Herausgabe seiner Gedichte. Storm geht als guter Freund mit Fleiß und Leidenschaft an die Arbeit, kommt aber zu dem Ergebnis, dass Heyses Lyrik besser in einen statt in die geplanten drei Bände passe; sie sei mehr vom Geiste, als von der Empfindung aus geschrieben , schreibt er in einem Brief an Gottfried Keller und fügt hinzu: Er ist nun einmal kein Lyriker. Das erinnert fatal an Heyses überlanges Loblied auf Geibel, in dem er nicht viel mehr als den ebenso tüchtigen wie gebildeten Verseschmied hervorkehrt.
Auch den als Novellisten geschätzten Conrad Ferdinand Meyer scheidet Storm aus seiner erlesenen Dichterschar: Den qu. [in Frage kommenden] Meyer überschätzen aber Du und Keller als Lyriker ; er kommt doch vom »Gemachten« nicht los; ihm fehlt für die eigentliche Lyrik das echte »Tirili « der Seele .
Ausdruck und Empfindung
Weitere Kostenlose Bücher