Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
gefeiert worden sein.
Wein zahlt, wer es fodert. Nach dem Diner hier bei uns Ruhe bis ½ 8 U. abends; dann delicatestes Butterbrot mit Champagner-Bowle, kaltem Punsch u. Pschorr-Bier u. Münchner Bürgerbräu, kündigt Storm vierzehn Tage vorher seinem Sohn Ernst das Storm-Fest in Hademarschen an.
Am Morgen des 14. September öffnet der Himmel über Hademarschen seine Schleusentore, eine grüne Ehrenpforte steht vor dem Garten, auf einer Tafel liest man »Dem Guten«. Schon um halb sechs Uhr morgens bläst die Feuerwehr ein Ständchen – Blasmusik ist nicht Storms Lieblingsmusik. Im Haus duftet ein Blumenmeer. Wilhelm Jensen, der mit seiner sechzehnjährigen Tochter Maina erschienen ist, sieht Storm gealtert, ihn stört der Duft der Tuberosen, deren Blüten ihren betäubend widerwärtigen Leichengeruch ausströmten. Jensen schreitet zur Tat, um sie unvermerkt wegzuknipsen und, wie’s ihnen gebührte, in Haufen zum Fenster hinauszuwerfen.
Glückwunschschreiben füllen die Waschkörbe. Storms Verleger Paetel erscheint aus Berlin und überreicht auf einem Paradekissen die erste Storm-Biographie, geschrieben vom Kieler Literaturwissenschaftler Paul Schütze. Der Autor ist schwer erkrankt, kann selber nicht kommen, stirbt zwei Tage später. Ferdinand Tönnies schenkt Storm sein später weltberühmt gewordenes Werk »Gemeinschaft und Gesellschaft«. Die Freunde Reventlow und Petersen sind da.
Nachdem er seinen Mittagsschlaf gehalten hat, rückt die Gesellschaft in »Thiessens Gasthof« ein, acht Ehrenpforten sind zu durchschreiten, dann setzt die etwa siebzigköpfige Gesellschaft sich zu Tisch und nimmt das Festmahl ein. Die Rede auf den Jubilar soll eigentlich der Reichstagsabgeordnete Dr. Wachs aus Hademarschen halten; der weigert sich jedoch aus nicht bekannten Gründen. Aemil Storm bittet Wilhelm Jensen, dieses Amt zu übernehmen. Jensen ist aber unvorbereitet, er kann und will nicht aus dem Stegreif reden und bittet nun Freund Reventlow, das zu übernehmen. Der Witzbold sagt: »Gewiß, sehr gern« – nur fügte er mit seiner ironischen Freundlichkeit hinterdrein: »wenn Sie mir die Rede anfertigen wollen.« Dann erhebt sich der Reichstagsabgeordnete zu Jensens Überraschung doch, und er meint, jetzt würde der Mann wirklich das Wort ergreifen und er sei die ungeliebte Aufgabe los, aber Dr. Wachs bringt nur ein Hoch auf den Kaiser aus und nimmt wieder Platz. Alle warten auf die Rede, Storm am meisten befremdet. Als treuer Freund, als Kollege und als ein Mann, der weiß, was sich gehört, springt Jensen ein und wurstelt sich so durch.
Danach spricht Storm. Er steht im Frack, mit Orden um den Hals und auf der Brust. Storm spricht fließend länger als eine halbe Stunde. Doch anstatt einem freudig-gehobenen Gefühl Ausdruck zu geben, ließ er seinem Innersten eine tiefe Verbitterung entströmen. Den Namen Geibel nennt er nicht, aber der Stachel Geibel schmerzt wieder, löst wahrscheinlich einen kleinen stormtypischen Jähzorn aus, der sich durch sein Leben wie durch seine Novellen zieht. Ihn verließ seine sonst so bescheidene Zurückhaltung beim Sprechen über seine eigene Dichtung. […] Es war überaus peinlich; als er dann innehielt, lag eine beklemmende Stille im Saal. In jener Stunde war Theodor Storm von den guten Göttern seines Lebens verlassen.
Allerdings hat Storm nun den »Schimmelreiter« unter der Feder; der wird seine längste Novelle werden; erschaffen aus einer Sprachdichte, woraus Julius Ebers vielleicht einen achthundert Seiten langen Roman verfasst hätte. Wie aus der gesprochenen Sprache der kleinen Leute Poesie von berückender, weit ausgespannter Schönheit werden kann, ist in dem ausgefeilten Forschertext »Religion und Religionskritik bei Theodor Storm« ausführlich behandelt und belegt. Der »Schimmelreiter« ist als sprachliches Klangfest Höhepunkt des Stormschen »Alles umsonst«, Höhepunkt seiner Kunst, gnadenlos schicksalhafte Gefangenschaft, letztes, seinem heidnischen Glauben gestiftetes Vermächtnis.
Der Regen ist abgeflossen. Ein schöner Septemberabend krönt diesen Festtag. Storm ist nach dem Anfall wie verwandelt. In den Fenstern der Häuser von Hademarschen brennen Kerzen. Er sitzt mit seinen Gästen noch bis Mitternacht in seinem großen »umschieferten« Haus. Den Schlussgesang singen die Sänger der Liedertafel von Hademarschen. Dass der Geburtstag nicht so harmonisch war wie dieser Schlussgesang, ist auch den »Itzehoer Nachrichten« nicht verborgen geblieben: Die
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