Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
hielt, und ebenso mitfühlte und mittrauerte, wenn die Sache wieder einmal nicht klappte, hat auch von seinem Schwiegersohn eine sich selber eingeredete Meinung. Schon die Söhne Hans und Ernst hatten ihren Vater von Haases schlechtem Ruf unterrichtet. Storm wollte das nicht glauben und sparte in seinen Briefen nicht an Lob und guten Worten. Der Grund, warum Haase Heiligenhafen verlassen musste, war eine Liebesbeziehung mit der verheirateten Leiterin einer Nähschule, Henriette Orts, die ein Kind von ihm zur Welt brachte. Aber auch Grube ist nur ein Übergang für die Familie Haase, und Tochter Lisbeth stehen noch bittere Jahre bevor.
Storm weiß von alledem nichts oder will davon nichts wissen, wahrscheinlich hält die Familie, wie auch im Falle Hans, die schlechten Nachrichten von ihm fern. Er zweifelt bis zuletzt nicht daran, dass seine »Frau Pastor« Lisbeth einen »trefflichen« Ehemann in Gustav Haase gefunden habe. Die Tage in Grube genießt der Dichter jedenfalls, auch Doris ist guter Stimmung, trotz Mattigkeit und körperlicher Leiden.
Lucie ist zu Besuch in Husum, Genaues weiß niemand. Bei den Reventlows? Jedenfalls hat sie jetzt Bruder Ernst dort in der Nähe; das beruhigt Storm. Elsabe hat sich gesundheitlich stabilisiert, studiert weiterhin erfolgreich Klavier in Weimar. Gertrud besucht Freunde in Mölln und Lübeck. Und auch Friederike ist glücklich auf einem Ferienbesuch. Nur Karl bringt Sorgen ins Haus, er hat zwar ein sehr schönes Lied ohne Worte u. dito ein Lied mit Worten componiert (…), ist, leider, sehr stark geworden, namentlich im Gesicht; er wiegt 220 Pfund, schreibt Storm am 7. Juli an Ernst. Dieser Sommer ist tatsächlich für Storm ein heiterer, trotz Quälerei mit Magen- und Verdauungsproblemen, und der Schimmelreiter rückt stetig vorwärts.
Mit Tochter Lucie reist Storm von Hademarschen über Heide zunächst nach Husum. Dort besucht er den heimgekehrten Sohn Ernst und feiert die Hochzeit seiner Nichte, Aemils Tochter Margarethe, die den Kieler Arzt Dr. Glaeveke, der Storm gerade mituntersucht hat, heiratet. Da die Gelegenheit günstig ist und die Stimmung vorhanden, lässt er sich von Aemil noch einmal untersuchen; der spinnt weiter an seiner »frommen Lüge«. Bei der Firma Topf kauft Storm Weingläser für seinen siebzigsten Geburtstag; denn der wirft bereits seine Schatten voraus. Dann reisen Vater und Tochter weiter per Bahn nach Tondern, von Tondern nach Hoyer fahren sie in der Pferdekutsche, von Hoyer nach Munkmarsch sind sie Passagiere auf dem Raddampfer. Die Überfahrt ist stürmisch, Tochter Lucie kämpft mit der Seekrankheit. Der magenkranke Storm hält stand. Er betritt zum ersten Mal die Insel Sylt, die steht drei Tage lang im Sturm, der uns die Majestät des Meeres zeigt, notiert Storm im Braunen Taschenbuch. Nach dem Sturm: Der Dichter geht am Strand spazieren. Er trifft seinen Verleger Paetel. Er vermisst seine Kinder. Lucie, die auf Sylt ihren 27. Geburtstag feiert, ist ihm nahe und soll nebenbei ihr Magengeschwür ausheilen; der Badearzt empfiehlt Bouillon, Milch mit Cognak, zum Frühstück Sardellen od. Caviar etc. Wer weiß, vielleicht findet sich hier der richtige Mann für sie? Ferdinand Tönnies besucht Storm in seinem kleinen Quartier und berichtet, was die Leute im Hotel reden. Der Dichter Storm soll auch angekommen sein , habe eine Dame bei der Abendtafel gerufen. Über die Vererbung, ein Thema, das Storm immer interessiert hat, spricht er mit seinem »Adoptivsohn« Tönnies, und Storm sagt: Ich habe manchmal darüber nachdenken müssen, meine Brüder sind ja ganz wunderliche Kerls; bei mir ist es nun auf die Dichtkunst geschlagen . Lucie bleibt noch ein paar Tage allein auf Sylt, versorgt mit Taschengeld und barer Münze für die Bekämpfung des Magengeschwürs.
In Hademarschen schreibt Storm an seinen alten Freund Pietsch: Ich habe das Vertrauen zum Leben verloren, das mir bisher eigentlich nicht enden zu können schien . Trotzdem feiert er am 14. September seinen siebzigsten Geburtstag, und er wird gefeiert. In Husum gründet sich eine »Stormstiftung zum Wohle der Arbeiter«. Schon am 13. September beginnt dort ein »Storm-Fest«. Das von Brahms vertonte »Ueber die Haide « wird gesungen. In Kiel haben Verehrerinnen einen Schreibtisch vom Flensburger Kunsttischler Sauermann anfertigen lassen, vier Eulen hat der Kunsttischlerlehrling Hans Emil Hansen, der sich später Emil Nolde nennen wird, hineingeschnitzt. Sogar in Brüssel soll ein Storm-Fest
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