Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
kommend, erst 10 Min. keuchend im Lehnstuhl liegen muß, nur um den nöthigen Lebensathem wieder zu bekommen. Er kämpft gegen Schmerzen und Schwäche, schwankt noch zwischen Zuversicht und Untergangsstimmung, sieht sich wieder gesund werden, wenn er nur tüchtig Eisen nähme. Getrud meint, dass er aber im tiefsten Herzen nicht daran glaubte . Manchmal holt er das schreckliche Foto seines verstorbenen Sohnes hervor, um es lange zu betrachten. Das quälende Räthsel des Todes hat er in seinem Brief an Mörike berufen, jetzt setzt es ihm zu, und er sagt: Nun stehe ich bald vor dem großen Rätsel. Für die eigene Beerdigung legt er vierhundert Mark bereit.
Dass bei alledem Stimmung und Laune verderben, ist nicht verwunderlich. Zehn Tage vor seinem Tod schreibt er noch einmal an Elsabe, rüffelt sie, weil sie unleserlich geschrieben hat, lobt sie aber auch, weil sie eine blinde Freundin besuchen will. Gertrud liest den Brief ihres Vaters und fügt selber noch für Elsabe etwas dazu: Eben habe ich Vaters Zeilen durchlesen und finde daß sie etwas verdrießlich klingen. Dabei mußt Du Dir aber nicht’s denken. Vater ist oft grenzenlos verdrießlich, ohne daß er weiß warum, das kommt von seiner anhaltenden Schwächlichkeit, da verliert er eben die Geduld .
Dann kommt das Ende. Am letzten Junitag unternimmt Storm noch einen Gang durch seinen geliebten Garten. Abends liegt er todesmatt im Esszimmer im Lehnstuhl. Dr. Wachs erscheint zu Besuch, Storm begrüßt ihn und sagt: Moriturus sum – Ich bin dem Tode verfallen. Er schläft im Lehnstuhl ein. Einen Tag später lässt er sich »OT« von Hans Christian Andersen vorlesen. Er ist unruhig, liegt im Bett, steht wieder auf, legt sich wieder. Schluckbeschwerden quälen ihn. Die rechte Hand zeigt erste Lähmungserscheinungen. Er ist verwirrt und spricht ohne Zusammenhang. Abends spritzt der Doktor Morphium. Im »Schimmelreiter« liegt Elke, Hauke Hayens Frau, in Fieberphantasie, spricht wie im Rausch, ein letztes heidnisches Orakel vor dem Opfergang.
Die Nächte waren sehr schlimm , schreibt Doris an Heinrich Schleiden. Am 2. Juli steht Storm nicht mehr auf. Die Lähmung hat seine rechte Körperhälfte erfasst. Die Sommersonne strahlt. Gertrud liest weiter vor aus Andersens Roman. Karl kommt abends aus Varel; das Wiedersehen muntert Storm noch einmal auf. Er redet wirr. Am 3. Juli rät Dr. Brinken nach der Untersuchung, dass alle Kinder nach Hause kommen. Storm verlangt Bleistift und Papier. Schreiben mit der gelähmten rechten Hand? Er hebt sie ein wenig wie zu einem letzten Dirigieren. Storm sagt zu Doris: »Meine süße Frau, Gedanken, Gedanken, Gedanken« und noch einmal das Wort »Morphium«. Storm verliert seine Sprache. Noch einmal spritzt der Arzt Morphium. Nachmittags um vier kommt Ernst aus Husum; er legt seinem Vater rote Rosen auf die Bettdecke und sagt: Schlafe ruhig ein! Es soll alles werden, wie wir es besprochen haben, ich sorge für sie alle! Um halb neun Uhr abends kommt Lisbeth mit ihrer fünfjährigen Tochter Constanze aus Grube. In seiner letzten Lebensnacht werden die Fenster geöffnet. Sommerluft strömt herein. Ob der Sterbende den Lerchengesang hört, der in den frühen Morgenstunden an sein Ohr gelangt? Am 4. Juli treffen Lucie, Friederike und Elsabe ein. Doris kniet, die Kinder stehen am Todeslager beim Sterbenden. Ein Gewitter zieht auf. Nach einem Lungenschlag stirbt Storm am 4. Juli 1888 um halb fünf Uhr nachmittags.
Am 7. Juli wird sein Leichnam nach Husum überführt. Von der Gartenpforte bis zum Bahnhofsgebäude hatten die Bewohner Hademarschens weißen Sand und frische Tannenzweige gestreut, und dem Sarge vorauf gingen die
vier kleinen Töchter unsers Pastoren, weiß gekleidet mit schwarzen Schleifen und streuten Rosen auf den Weg, schreiben die »Itzehoer Nachrichten«. Der Eisenbahnwagen ist geschmückt mit Blumen und Tannengrün. Storm wird beigesetzt auf dem St.-Jürgen-Friedhof. Dort haben sich etliche trauernde Freunde, Bekannte und Neugierige versammelt. Die Glocken läuten, als der Sarg in die Erde gesenkt wird. Kein Geistlicher spricht ein Wort. Storms letzter Wille wird erfüllt.
Epilog
… welche Fülle von Freundlichkeit und Liebe gab er uns, welche Stütze, welchen Halt habe ich verloren. Und doch darf ich nicht klagen liebe Frau Mörike, habe ich ja das ungetrübte Glück 23 Jahre gehabt an seiner Seite, an seinem Herzen zu leben; wie war das schön! Nun ist Alles, Alles dahin! – – schreibt Doris knapp zwei Monate nach
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