Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
kann Storm persönliche Erinnerungen heraufholen: Die Hitze von Baden-Baden, wo er 1865 Iwan Turgenjew und die Sängerin Pauline Viardot kennen lernte, die Gluthitze von Nürnberg, als er dort Ende Juli 1872 auf dem Weg nach Leopoldskron übernachtete, schließlich die Gluthitze von Würzburg, die er im August 1876 erlebte, als er seinem Sohn Hans beim Mediziner-Examen beistehen wollte. Diese Sommerhitze drückt wie eine Todeslast auch die kleine Kurstadt, wo der Sonnenschein wie Glut herabfiel . Fern wie eine alte Sage klingt da der Schreck-Ruf des Mittagsgottes Pan, der in der größten Hitze und Stille die Stunde der Sinnenlust und Lüsternheit ausruft und tief hinein in Storms Novellen schlagen lässt.
Nicht aber hier, nicht in »Ein Bekenntnis«. Nur ein erster schwacher Schimmer davon begegnet dem Leser zu Anfang, als die Gestalt eines etwa dreizehnjährigen Mädchens auftaucht, und Storm wieder einmal erinnert an seine erste Begegnung mit der jungen Doris Jensen. Ist das Kind hier am Platze? Paul Heyse hält ihre Geschichte für einen unkünstlerischen Nebenschößling, wie er im Juli 1887 an Storm schreibt. Man muss ihm Recht geben, andererseits beschenkt Storm den Leser in diesem Nebenschößling mit einem unvergesslichen Satz: Wenn es für unser Leben etwas Ewiges geben soll, so sind es die Erschütterungen, die wir in der Jugend empfangen haben .
Die mitreißende Schilderung vom Leiden und Sterben der jungen Elsie Jebe gelingt ihm nicht immer ohne einen Anklang von Sentimentalität und Kitsch. Elsie Jebe, geborene Füßli, ist zu sehr ein mit Stormhand geknetetes Frauenwesen. Der Dichter ist aber Meister seines Stoffs, denn ihm widerfährt am eigenen Leib der Prozess des Leidens und Sterbens. Mit seiner radikalen, nicht vor heiklen Ecken und Kanten scheuenden Geschichte kann er dem Sterbehilfe-Thema ein hohes Maß Glaubwürdigkeit verleihen; darin liegt auch seine Modernität.
Storm baut eine zusätzliche Hürde in seine Tötungsgeschichte ein und erinnert damit wieder einmal an seinen Satz Es ist Alles doch umsonst gewesen. Der Arzt Franz Jebe hat vierzehn Tage vor dem Tod seiner Frau eine medizinische Fachzeitschrift unbeachtet weggelegt. Dort hätte er in einem Beitrag lesen können: Eine inzwischen erprobte Operationstechnik kann die Krebskrankheit mit der vollständigen Entfernung der Gebärmutter heilen. Diesen Artikel liest Jebe drei Jahre, nachdem er seiner Frau den Wunsch erfüllte, sie, sein Geliebtestes zu tödten .
Jebe hätte also, wenn er gelesen und gehandelt hätte, möglicherweise seine Frau retten können. Diese Nachlässigkeit, ein Zustand des Zögerns, den Storm aus eigenem Verhalten kennt und in seinen Novellen seine Rolle spielen lässt bis hin zum Schimmelreiter, beschwert die schon bestehende Gewissenslast um weiteres Gewicht. Jebe empfindet die Tötung seiner Frau nun als Mordtat. Auch die folgende Rettung einer Patientin, die er mit der neuen Operationstechnik vor dem sicheren Tod bewahren kann, beruhigt ihn nicht. Soll eine Sühne sein, so muß ich sie selber finden, sagt er. Die Möglichkeit einer neuen Ehe mit der Tochter der Geretteten schlägt Jebe – Gott sei Dank, sagt sich der Leser – aus. Aber der Mann steht kurz davor, denn Freunde melden ihm: Sie würden keinen Korb bekommen haben .
Jebe muss Buße tun, daß ich an mir selber nicht zum Frevler würde . Im fernen Ostafrika, das seit 1885 deutsche Kolonie ist, findet er seine neue Aufgabe; er stirbt, nachdem er dort viele Jahre als tüchtiger Mediziner gewirkt hat. Dass dieser Arzt, der seine Frau tötete und damit in schwerste Gewissenskonflikte geriet, ein ernster und ein rechter Mann gewesen ist, daran wird Niemand zweifeln, Storms letzte Worte in dieser Novelle.
Auch Paul Heyse hat keinen Zweifel an der Ehrenhaftigkeit dieses Mannes. Er schreibt an Storm am 25. Juni 1887: Wir können doch nur nach unserm redlichsten Erkennen handeln, gleichviel, ob eine spätere Erkenntniß uns, was wir im einzelnen Fall für sittlich zulässig, ja nothwendig halten, als einen Irrthum aufzeigt. Elsi konnte von ihrem Mann verlangen, daß er ihr von der Todesqual half, und so lange er der Meinung war, eine Hülfe zum Leben sei unmöglich, war er im Recht, wenn er ihrer Bitte nachgab. Daß er die neuentdeckte Heilmethode noch nicht kannte, darf er sich nicht aufs Gewissen laden .
Auch Gottfried Keller hat sich dazu geäußert. Storm schickt ihm die Genesungsnovelle »Ein Bekenntniß« im Dezember 1887, Keller antwortet nicht;
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