Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Storms Tod an die Witwe Margarethe Mörike. Die Witwe Doris Storm, geborene Jensen, erweist sich nach dem Tod ihres Mannes, des absolut herrschenden Familiengewaltigen, als eine Frau mit Durchblick und Stehvermögen, nachdem sie die erste schwere Zeit des Alleinseins gemeistert hat.
Schnell ist ihr klar, dass sie fort muss von hier; Storms Umzugspläne, die sie als treibende Kraft mit verfolgte, müssen endlich verwirklicht werden. Umziehen in eine Stadt, wo mehr Geselligkeit und Umtrieb ist und wo die unverheirateten Töchter endlich an den Mann gebracht werden können, das steht obenan. Ich will lieber kleiner wohnen, dies großartig wohnen mit kleinen Mitteln ängstigt mich , schreibt sie an Ernst. Noch in Storms Todesjahr zieht sie um nach Kiel in die Muhliusstraße, Gertrud und Friederike ziehen mit. Die »Villa Storm« ist erst mal auf fünf bis sechs Jahre günstig vermietet. Die Briefe, die Doris fortan ihrem Stiefsohn schreibt, zeigen eine ungebrochene Unternehmungslust. Ihre Briefadressen neben Kiel sind Charlottenburg, Griesheim, Hohenweststedt, Posen.
Sie schreibt nach Husum und anderswo mit derselben Hand, die der Dichter Theodor Storm in der Novelle »Immensee« schilderte: Er sah auf ihr jenen Zug geheimen Schmerzes, der sich so gern schöner Frauenhände bemächtigt, die nachts auf krankem Herzen liegen . Auch in Storms schönsten Kunststücken, den Liebesgedichten, die er Doris gewidmet hat und nicht Constanze, ist sie verewigt. Der poetische Niederschlag Stormscher Liebesleidenschaft hat Doris ihr Leben lang gestützt, war Hilfe und Heilung in seelischen Tiefs und körperlichen Leiden.
Auch jetzt, wenn die Briefe an Ernst oft lange ohne Antwort bleiben, verliert sie ihre Lebensaufgaben nicht aus den Augen, lässt sich nicht von ihren Plänen abhalten. Ernst reagiert empfindlich mit seinem schwächlichen, wehleidigen Naturell und fühlt sich von Doris‘ Bitten und Fragen bedrängt und angegriffen, so dass sie um gutes Wetter betteln muss: Mit tausend Grüßen mein Ernst u. der Bitte ja nicht unwillig über diesen langen Brief zu werden, schreibt sie ihm in ihrem Brief vom 15. August 1888. Auch wenn er aus Eigensinn, Pflichtvergessenheit oder in schlichter Faulheit schweigt und seine Stiefmutter im Stich lässt, sie lässt sich trotz Magenkrampf und Erregung nicht aus der Bahn werfen. Auch dann nicht, als der Gerichtsvollzieher sie aufsucht, weil Ernst vergessen hat, einen fälligen Geldbetrag für seine Halbschwester Dodo (Friederike) beim Vormundschaftsgericht zu bezahlen.
Die »Villa Storm« ist zwar vermietet, aber lieber würde Doris sie verkaufen. Der alte Freund Eckermann aus Heide meint, dass die Aussichten, das Haus verkaufen zu können, durch den bereits 1887 begonnenen Bau des Nord-Ostseekanals sich eher verschlechtern würden. Und Ernst scheint den Verkauf eher verschleppen als befördern zu wollen. Er betreut auch als Nachlassverwalter die Korrespondenzen seines Vaters; nur ungern rückt er sie heraus. Darüber erfahren wir etwas aus einem Brief, den Fontanes jüngster Sohn Friedrich (1864–1941) an Julius Rodenberg schreibt: Bei dieser Gelegenheit darf ich vielleicht hervorheben, daß die Erben Th. F.s – ganz im Gegensatz zu den Stormschen – sich im allgemeinen absolut nicht gegen eine Veröffentlichung von Briefen ihres Vaters sträuben.
Zügig aber geht die Verheiratung der Töchter über die Bühne. Sicher war Storm eher Hemmschuh als Beförderer gewesen. Schon eineinhalb Jahre nach seinem Tod heiratet Elsabe den Regierungsbaurat Friedrich Krey in Kiel, ein Jahr später heiratet Lucie den Kunstmaler Theodor Sander in Husum, und wieder ein Jahr später vermählt sich die Jüngste, Friederike, mit dem Chemiker Dr. Franz Bachér in Kiel.
Nur Gertrud bleibt ledig. 1889 geht sie nach Loschwitz bei Dresden, besucht dort die Gewerbeschule und erlebt erste Liebe und erste Enttäuschung. 1890 findet sie Arbeit als Pflegerin in einer Kinderheilanstalt in Duhnen bei Cuxhaven. In dieser Zeit hat Lucie in Husum ihren »Herzensmann« kennen gelernt. Diese Sorgentochter, ein bis auf den Mund sehr hübsches Kind, findet entgegen allen Erwartungen doch noch ihr Glück. Aber dieses Glück hat seine Schattenseite: Lucie hat sich von dem zwei Jahre älteren Flensburger Künstler schwängern lassen, sie »muss« heiraten, Anfang November 1890, knapp drei Monate vor der erwarteten Niederkunft. Wie man sich in Husum darüber das Maul zerreißt, schildert Franziska zu Reventlow in einem Brief an
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