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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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erst nach Storms Tod und nach dem Tod seiner herz- und kropfkranken Schwester Regula äußert er sich dazu in einem Brief an Paul Heyse: Inzwischen ist auch Th. Storm gestorben! […] Meine Schwester konnte zuletzt nicht mehr liegen, noch sonstwie ruhen, und konnte sich wegen wachsender Einschnürung der Kehle durch alte Verkropfung auch nicht mehr nähren. In meiner Dummheit fragte ich erst in der letzten Woche den Arzt, einen Kerl, der angesichts des moribunden Zustandes die Ärmste immer nur mit Messungen, Thermometer, Pulszählen, Schläuche-in-die-Kehle-stecken-wollen und dergleichen quälte, daß sie flehentlich aufschrie: ob er denn nicht lieber etwas Schlaf schaffen könne, worauf er gemütlich trocken sagte: Ja, ich kann etwas Morphium in das Mittel verordnen, das man holen muß. […] allein ich habe nun erfahren, daß ich mit gutem Gewissen das Leiden hätte abkürzen dürfen.

Waldkauz und schwarzer Kater
    Der Mai 1887 ist ein guter Monat für Storm. Im Garten liegt mein altgermanisch rothes Haus. Erwartung des Juni, wo alle Blüthe, namentlich meine Rosenfluth, hervorbricht. Sein Garten blüht und gedeiht , schreibt er an Paul Heyse, und er kann nicht genug bekommen von der Natur vor seiner Haustür, unbedingt muss er alles in Worte fassen und seine Freunde mit dieser schriftlich gefassten Pracht versorgen. Durch das offene Poetenfenster hört er die Vögel in den Tannen singen; eine Nachtigall schlägt wieder einmal. Hauptereignis in meinem jetzigen Leben ist: Sohn Ernst hat seinen Richterposten in Nordschleswig aufgegeben und übernimmt die Kanzlei von Rechtsanwalt und Notar Stemann in Husum. Aktuell ist wieder der Gedanke an einen Umzug nach Husum, wo das Geschlecht meiner Mutter lange feste Wurzeln hatte . Aus Storms Briefen klingt frohe Erwartung, in der Schreibwerkstatt ist der »Schimmelreiter« das große Hauptereignis . Reisepläne nach Grube zu Tochter Lisbeth, nach Hamburg zu Heinrich Schleiden, nach Sylt, zusammen mit Tochter Lucie, erzählen mehr von Storms Lebensmut und von seiner Zuversicht als von Leiden und Krankheit, Sterben und Tod. Und jetzt in den Garten; die Vögel singen gar zu laut! So schließt er seinen Brief an Paul Heyse Ende Mai 1887. Gertrud Storm sieht die derzeitige Lebenslage ihres Vaters in einem anderen Licht: Aber Storm hatte sich überschätzt; er vermochte die Gewißheit eines nahen Todes nicht zu ertragen. Tiefe Schwermut ergriff ihn. Keiner, der ihn liebte, konnte das ertragen. Die Hoffnung, ohne die es kein Glück gibt, mußte ihm wiedergegeben werden .
    Pfingstsonntag des Jahres 1887 ist der 29. Mai. Bruder Aemil und sein eminent tüchtiger Schwiegersohn Glaeveke sind zu Besuch in Hademarschen. Sie untersuchen Storm, und der beschreibt ein paar Tage später seinem Sohn Karl das Ergebnis, ich könne sicher sein, es sei kein Magenkrebs, habe mit dem Magen überhaupt nichts zu thun, krebsartig sei die glatt anzufühlende Geschwulst überhaupt nicht; sie halten es für eine Ausdehnung eines Zweiges der großen Aorta die in den Unterleib hinabgeht, etwa so: [Zeichnung] Sie hatten zwar keine Hörrohre; dennoch meinten sie angeben zu können, daß diese Ausdehnung schon mit geronnen Blut gefüllt sei, wo sie nichts mehr bedeute; denn sonst müßten sie auch ohne Hörrohr das Geräusch hören können, das des sich durchdrängenden Blutes. – Dieß wäre ja denn eine recht glückliche Lösung . Aemil und Glaeveke haben Storm untersucht, ohne den Hausarzt Brinken hinzuzuziehen.
    Ob diese berühmt gewordene Scheinuntersuchung tatsächlich Storm so aufrichtet und stärkt, dass er den »Schimmelreiter« noch zu Ende schreiben kann? An Heinrich Schleiden schreibt er: Nach neuester Untersuchung soll das gefürchtete Uebel nicht vorhanden sein; mein Tod hat also sein Gesicht verloren . Kaum vorstellbar aber, dass er den Satz aus einem Brief vom 30. März 1887 an seinen Bruder Aemil vergessen kann: Brinken wird Dir geschrieben haben, daß der Schlußring in der bunten Reihe meiner Krankheiten eine tödtliche ist, wenn auch noch eine Zeit lang damit gelebt werden kann . Tochter Gertrud Storm meint, dass diese fromme Lüge ihrem Vater noch einen heiteren Sommer beschert habe.
    Den verbringt er zunächst bei Tochter und Schwiegersohn Haase in Grube, hundert Kilometer östlich von Hademarschen. Haase ist nun endlich, nach vielen Bemühungen um eine neue Stelle als Pastor, in Grube untergekommen. Storm, der immer mitzitterte und mithoffte, wenn der Pastor seine Bewerbungspredigt

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